Mit jedem Zyklus: Neue Qual und neue Hoffnung

■ Fortpflanzungstechnologien: gefährlich, erniedrigend, erfolglos / Dennoch unterziehen Frauen sich immer wieder diesen Prozeduren / Die renommierte Wissenschaftlerin und Feministin Renate Klein plädiert deshalb für eine intensive Auseinandersetzung mit den Betroffenen: „Den Kinderwunsch ernst nehmen“

Renate Duelli-Klein ist Biologin und Mitbegründerin von FINNRRAGE (Feminist International Network of Resistance to Reproductive and Genetic Engineering), dessen Aktivitäten sie jahrelang koordinierte. Renate Klein lebt und forscht heute in Australien, wo sie u.a. eine Studie über die Begleiterscheinungen von In-vitro-Fertilisation bei 40 Frauen durchgeführt hat. Sie ist Autorin und Mitherausgeberin mehrerer Bücher zum Thema Reproduktionstechnologien („Retortenmütter“).

taz: Sie haben sich in einer Untersuchung mit Frauen beschäftigt, die eine In-vitro-Fertilisation (IVF) versucht haben. Warum haben Sie eigentlich nur mit Frauen gesprochen, bei denen das erfolglos blieb?

Renate Klein: Weil ich denke, daß wir uns mal wirklich mit der Mehrheit der Frauen, die durch diese Technologien durchgehen, beschäftigen müssen. Und die IVF endet meiner Ansicht nach für 90 bis 95 Prozent der Frauen mit einem Mißerfolg. Mein Ausgangspunkt war die IVF, aber ich bin immer mehr darauf gekommen, daß die sogenannten konventionellen Methoden oft genauso schlimm sind. Wenn eine Frau ein Kind will und, weil nichts passiert, nach sechs Monaten zum Gynäkologen geht, ist sie oft in der ganzen medizinischen Tretmühle, bevor sie überhaupt weiß, was mit ihr passiert. Zuerst gibt's dann ein Tablettchen - meistens Hormone -, dann bald mal einen mikrochirurgischen Eingriff, dann eine Tubendurchblasung, dann Gebärmutter aufrichten... Und jetzt kommt nach Jahren mit einer Operation nach der anderen eben häufig auch noch die In-vitro-Fertilisation.

Mir ist aufgefallen, daß viele Frauen, trotz der Leiden, die sie beschreiben, und trotz des Mißerfolges schließlich sagen: Und wenn mich meine Freundin fragen würde, ob sie eine IVF mitmachen soll, ich weiß nicht, wie ich ihr raten würde...

Die Erfahrung habe ich auch gemacht. Auch wenn es uns besser passen würde, wenn immer mehr Frauen klar sagen würden, daß sie anderen von dieser Methode abraten, müssen wir akzeptieren, daß es bei der Mehrheit der Frauen nicht so ist. Und ich sage einer anderen Frau ja auch nicht: Tu es nicht. Das einzige, was ich tun kann, ist, sie über all das zu informieren, was sie von den Ärzten nicht erfährt. Und ich halte eine Beratung für wichtig, wo Frauen die Möglichkeit haben, sich mit dem Kinderwunsch auseinanderzusetzen, bevor sie in die ganze Tretmühle hineingeraten. Ich glaube, daß dieser Kinderwunsch viel mehr hinterfragt werden müßte, und ich denke, eines der Probleme

-nur eines! - kann erklärt werden aus der Situation der Frau im Patriarchat. Daß es immer noch so ist, daß Frauen erst als richtige Frauen angesehen werden, wenn sie Kinder haben.

Die Frage ist nur, ob diese Erkenntnis den Frauen wirklich so viel weiterhilft.

Viele der Frauen in Australien, mit denen ich gesprochen habe, kamen aus dem unteren Mittelstand. Die wohnen in einem kleinen Haus im Vorort. Alle Bekannten haben Kinder, rechts, links, Nachbarn, Brüder, Schwestern haben Kinder, nur sie nicht. Und sie werden geächtet, sie werden rausgeschmissen aus den sozialen Beziehungen. Ihnen dann zu sagen, sie sollen sich andere Befriedigungsmöglichkeiten suchen, ihren Beruf ändern oder einen Kurs machen, kann zwar sicher richtig sein, aber es ist kein Allheilmittel.

Viele Frauen haben mir gesagt, daß sie ein Kind wollen, weil sie die Intimität, die Leidenschaft und die Nähe in ihrer Partnerbeziehung vermissen - da ist natürlich die Frage, ob man so eine Frau darin unterstützen kann, diese Beziehung zu verlassen. Übrigens haben mindestens ein Viertel der Frauen in meiner Untersuchung gesagt, sie hätten sich damit abfinden können, kein Kind zu haben, aber der Mann wollte unbedingt seine Gene fortgepflanzt haben. Aber ich habe in diesen Interviews auch gelernt, daß auch Feministinnen, die das alles sehen und wissen, trotzdem immer noch sagen: Ich will ein Kind. Und ich denke, das müssen wir auch sehr ernst nehmen. Wir müssen Beratungsmöglichkeiten schaffen - z.B. angegliedert an Frauengesundheitszentren -, wo Frauen oder auch Paare die Möglichkeit haben, mit sich und diesem Kinderwunsch ins Reine zu kommen.

Wie könnte so etwas aussehen?

Es gibt z.B. diesen Prozeß, wie ihn Elisabeth Kübler-Ross für die Auseinandesetzung mit dem Tod beschreibt: Erst ist da Wut und Empörung - „Warum gerade ich?“ -, die dann langsam in Trauer übergeht, um schließlich den bevorstehenden Tod zu akzeptieren oder damit leben zu können. Ein solcher Prozeß in bezug auf die Unfruchtbarkeit wird durch die ganzen Technologien verunmöglicht - die Frauen müssen ja immer weiter mitmachen und hoffen, daß es doch noch klappt. Wir wissen schon heute, daß Frauen, die ihre Unfruchtbarkeit zu akzeptieren beginnen, zu mindestens zehn Prozent dann doch Kinder bekommen - es ist also etwa die gleiche Erfolgsrate wie bei der IVF.

Aber ich würde deshalb nicht sagen: Frauen, kommt in die feministischen Beratungen, weil ihr dann doch noch ein Kind bekommt. Sondern: Macht diese Beratungen und versucht, euch darauf einzustellen, daß ihr kein Kind bekommt.

Sind Sie eigentlich dafür, daß die IVF verboten wird?

Nach sieben Jahren Arbeit an diesem Thema bin ich jetzt tatsächlich für ein Verbot. Entgegen meinen eigenen Prinzipien, weil ich Verbieten nicht gut finde und weil es Märtyrer schafft. Aber ich finde die bevölkerungspolitischen Konsequenzen dieser Technologien - daß sie Frauen benutzen, um an Embryonen zu kommen - so gefährlich, daß ich denken: Wir müssen es einfach stoppen.

Ursprünglich habe ich gedacht, IVF ist nur so ein Randbereich; heute sehe ich diese Technologie als Schlüsselfaktor, denn wenigstens heute braucht man noch Frauen, die sich als Versuchskaninchen zur Verfügung stellen. Es gibt ganz schlimme Aussprüche von Wissenschaftlern, die einem auf die Frage, warum sie diese Forschung nicht mit Schimpansen machen - wobei ich damit nicht Tierversuche propagieren will -, offen ins Gesicht sagen: Schimpansen sind teuer, die muß man bei guter Laune halten, die sterben einem oft und die reden nicht. Und die Frauen, die kommen freiwillig, sind hochmotiviert und bezahlen auch noch dafür.

Aber durch ein Verbot würden diese Techniken möglicherweise in eine Grauzone abgedrängt, wo sie dann überhaupt nicht mehr zu kontrollieren sind...

Das ist natürlich das Risiko bei jedem Verbot. Ich finde aber, von den beiden schlechten Alternativen ist das Verbieten die bessere: Es hätte immerhin zur Folge, daß diese Wissenschaftler nicht wild publizieren können und auch keinen Nobelpreis dafür bekommen - das ist ein Grund, der einige hindern wird, diesem Ganzen nachzurennen.

Gibt es Ihrer Meinung nach überhaupt sinnvolle Vorhaben in der Fertilitätsforschung?

Nein, eigentlich nicht. Zum Beispiel Hormonzyklen zu messen und dann mit Pillen einzugreifen - das ist schon dieses System, einen Menschen wie eine Maschine zu betrachten. Das endet dann sehr bald bei viel zu hohen Hormondosen, bei chirurgischen Eingriffen und bei diesen immer längeren Leidensperioden für Frauen.

Was glauben Sie, kann getan werden, um Frauen dabei zu unterstützen, das alles nicht mitzumachen?

Antwort Nummer eins: den Kinderwunsch ernst nehmen. Die Hoffnung, die ich mit meinem Buch verknüpfe, ist die, daß gerade Kritikerinnen der Reproduktionstechnologien ein bißchen mehr Verständnis dafür aufbringen und nicht einfach sagen: Die Frauen sollen doch damit aufhören. Diese Argumentation liegt nämlich sehr nahe bei der Sichtweise der Reproduktionsmediziner, die sagen: Die Frauen wollen das ja! Ich habe die Hoffnung, daß unfruchtbare Frauen zunächst ganz individuell mehr Unterstützung erfahren. Daß sie sich nicht immer wieder Ratschläge anhören müssen wie: Warst du schon beim Homöopathen, Akupunkteur, Psychotherapeuten? Meine Hoffnung ist auch, daß immer mehr Frauen mit dem, was sie erlebt haben, in die Öffentlichkeit treten. Und wir brauchen feministische Beratungsstellen für unfruchtbare Frauen. Die Frauenbewegung hat sich um all das bisher ja wenig gekümmert.

Und wenn eine Frau trotz allem eine IVF will?

Dann ist erst mal Toleranz nötig. Wobei ich nicht so weit gehen würde, Frauen dabei zu unterstützen, das alles besser durchzustehen. Wir müssen schon klarmachen, daß jede Frau, die eine IVF versucht, auch dazu beiträgt, daß diese Technologien weiterentwickelt werden. Ich meine damit nicht, daß die Frauen zu Mittäterinnen werden. Aber sie haben die Verantwortung für diese Entscheidung.

Interview: Irene Stratenwerth

Renate D. Klein (Hrsg.): Das Geschäft mit der Hoffnung. Orlanda Frauenverlag, Berlin 1989, 38 DM