Ein „fancy shvartzer“ in „Hymietown“

Rassistische Entgleisungen und persönliche Diffamierungen prägen den Wahlkampf um New Yorks Bürgermeisteramt / Weder der Republikaner und „Crime Fighter“ Giuliani noch der demokratische „Heiland“ Dinkins empfehlen sich als Manager für die Metropole  ■  Von Rolf Paasch

„Wie hältst Du es denn mit Jesse Jackson“, ruft einer aus dem Publikum im „Forest Hill Jewish Center“ des New Yorker Stadtteils Queens. „Wollt ihr, daß ich Jesse Jackson denunziere“, fragt der schwarze Bürgermeisterschaftskandidat David Dinkins zurück? „Das werde ich nicht tun.“ „Wäre Jesse Jackson ein Antisemit, würde ich ihn nicht unterstützen.“ „Hymietown, Judenstadt“, schallt es daraufhin aus den Reihen der versammelten jüdischen Gemeinde. New Yorks drei Millionen Juden haben die unglückliche und antisemitische Beschreibung „ihrer“ Stadt durch den Ex -Präsidentschaftskandidaten und Dinkins-Freund Jesse Jackson aus dem Jahre 1985 noch nicht vergessen. Und nicht zuletzt deswegen muß Dinkins, der graumelierte Gentleman in seinem maßgeschneiderten Doppelreiher, noch um seinen schon sichergeglaubten Sieg bei den Bürgermeisterschaftswahlen in der demokratischen Hochburg von New York am Dienstag bangen.

Daß er und sein republikanischer Widersacher Rudolph Giuliani die letzten Tage des Wahlkampfes mit der jüdischen „Yarmulke“ auf dem Hinterkopf auf Stimmenfang sind, hat seinen Grund in der schlichten Wahlarithmetik New Yorks. Während der milde, großväterliche Dinkins auf 95 Prozent der schwarzen und 60 Prozent der hispanischen Wählerstimmen rechnen kann, werden rund 80 Prozent aller weißen Katholiken in den Vorstädten für Giuliani stimmen, den 42jährigen Ex -Staatsanwalt italo-amerikanischer Abstammung aus Brooklyn. Und so wird es denn dem jüdischen Bevölkerungsteil der kosmopolitischen Metropole zufallen, nach 16 Jahren wieder den ersten nicht jüdischen Bürgermeister zu bestimmen. Doch nach dem bisherigen Verlauf des Wahlkampfes müßte es eigentlich jedem politisch engagierten Bürger im Babylon Amerikas schwerfallen, sich für einen der beiden Hauptrivalen zu entscheiden, nachdem der charismatisch -korrupte Ed Koch bereits im September bei den Vorwahlen aus dem Rennen war.

Statt mit konstruktiven Vorschlägen zur Abwendung des drohenden Zusammenbruchs der New Yorker Infrastruktur, führten beide Seiten einen Wahlkampf, der einer Beleidigung des Stimmvolks gleichkam. Mit Schlagworten wie „Kriminalität, Kokain und Korruption“ versuchte sich „Amerikas erfolgreichster Crime Fighter“ - so Präsident Bush über Giuliani - als republikanischer Batman zu profilieren. Giuliani, der als US-Oberstaatsanwalt Mafiosi und Börsenkriminelle hinter Gitter gebracht hatte, schlug allen Ernstes vor, das eine Milliarde Dollar tiefe Budgetloch New Yorks mit den konfiszierten Profiten noch zu fangender Drogenhändler zu stopfen. Weniger originell war da schon die Bemerkung seines Wahlkampfhelfers, des Komikers Jackie Mason, Juden würden für den „fancy shvartzen“ Dinkins nur aus Schuldgefühlen stimmen. Dinkins dagegen, der sich im Gegensatz zu seinem Vorgänger Koch als Mittler zwischen den Rassen darstellt, verbrachte den größten Teil seines Wahlkampfes damit, vergessene Steuererklärungen, fragwürdige Finanztransaktionen privater Aktienpakete sowie eine naive Spende an einen schwarzen Wahlkampfhelfer zu rechtfertigen. Letzterer hatte zunächst seinen Haß gegenüber der New Yorker Polizei offen ausgedrückt und dann noch stolz erklärt, er sei kein Antisemit, sondern grundsätzlich „Anti-Weißer“. Alles Szenen, wie sie dem von Giuliani angeheuerten Medienberater Roger Ailes, dessen TV-Commercials im vergangenen Jahr schon den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Dukakis erledigt hatten, wunderbar ins Skript paßten. Ob die nun Dinkins attackierenden und diffamierenden TV-Werbespots die Aufholjagd Giulianis in den letzten Tagen noch beschleunigen, oder ob ihre Aggressivität doch wieder den Wunsch nach einem Kandidaten des Ausgleichs stärken, bleibt abzuwarten. Aber selbst wenn der Demokrat Dinkins am Dienstag trotz der Abwanderung jüdischer Wähler als erster schwarzer Bürgermeister der größten Stadt der USA werden sollte, wird sich die Freude darüber auch bei vielen New Yorkern in Grenzen halten. Denn nichts hat im Verlauf des Wahlkampfes darauf hingewiesen, daß David Dinkins auf die drängenden Probleme der Stadt mit Hunderttausenden von Drogenabhängigen, Zehntausenden von Obdachlosen, ihrem versagenden Gesundheitswesen, dem Chaos und Rassismus an den Schulen und ihrer überirdisch wie unterirdisch zerfallenden Bausubstanz eine Antwort weiß.