Der Libanon hat wieder einen Präsidenten

■ Parlament bot General Aoun die Stirn / Rene Moawad neuer Staatschef / Abkommen von Taif ratifiziert / Abgeordnete aus Ostbeirut mit von der Partie / Christlicher Regierungschef droht mit Spaltung des Landes und neuer Kriegsrunde / Krisensitzung in Baabda

Beirut/Berlin (afp/ap/taz) - Nach dreizehn Monaten Interregnum hat der Libanon wieder einen Präsidenten. Gestern wählte das Parlament den 64jährigen maronitischen Christen Rene Moawad zum neuen Staatschef. Moawad war der einzige Kandidat, nachdem alle Mitbewerber nach dem ersten Wahlgang ihre Kandidatur zurückgezogen hatten. Moawad genießt nach ersten Berichten die Unterstützung des Vermittlerkomitees der Arabischen Liga, Syriens, der moslemischen Gemeinschaft und die stillschweigende Billigung der christlichen Miliz, des maronitischen Patriarchen Nasrallah Sfeir, der einflußreichen christlichen Falange -Partei und angeblich auch der libanesischen Armee.

Neben der Wahl des neuen Präsidenten ratifizierten die Abgeordneten das Abkommen von Taif zur Beilegung der Krise im Libanon. Es sieht unter anderem politische Reformen zugunsten der bislang benachteiligten Moslems vor. Der christliche Regierungschef Aoun lehnt das Abkommen ab, weil es keinen Zeitplan für den Abzug der syrischen Truppen im Libanon enthält. Erwartungsgemäß erklärte er auch die Präsidentenwahl für „null und nichtig“.

Die Parlamentarier waren ungeachtet des massiven Widerstandes Aouns auf dem Luftwaffenstützpunkt Qlaiaat im Norden des Landes zusammengekommen. Das erforderliche Quorum war erreicht, nachdem dreißig meist christliche Mandatsträger aus Paris kommend dort eingetroffen waren.

Das politische und rechtliche Chaos im Libanon war perfekt, als Aoun am Samstag seine Drohungen wahrmachte und das Parlament kurzerhand für aufgelöst erklärte. Damit wollte er in letzter Sekunde verhindern, daß die Abgeordneten, wie ursprünglich geplant, noch am gleichen Tag in der Villa Mansur auf der Demarkationslinie zwischen Ost- und Westbeirut zusammentreten.

Im Osten der Stadt ließ der General seine Anhänger aufmarschieren. „Keine Macht der Welt kann unseren Willen brechen!“ rief er seinen meist jugendlichen Anhängern zu. Mit Parolen wie „Ja zum General“ oder gar „München 1938Taif 1989“ defilierten sie vor dem Präsidentenpalast in Baabda. Die Demonstranten hatten eine Schneiderpuppe aus Pappe an einem Strick aufgehängt. Auf der Brust trug sie ein Schild mit der Drohung: „So sieht das Schicksal von Verrätern aus.“

Als Verräter hatte Aoun die christlichen Abgeordneten gebrandmarkt, die in Taif das Friedensabkommen mit unterzeichnet hatten. Daß solche Drohungen ernstzunehmen sind, zeigte sich bereits am Freitag abend, als gegen die Wohnungen dreier Abgeordneter Anschläge verübt wurden.

Doch die christlichen Parlamentarier ließen sich nicht erpressen. Nachdem der moslemische Parlamentspräsident Hussein al Husseini am Samstag in Paris mit den Parlamentariern konferiert hatte, willigten diese ein, an der Sitzung teilzunehmen. Der Tagungsort wurde aus der Reichweite der Artillerie Aouns an der Demarkationslinie weg in den syrisch besetzten Nordlibanon verlegt. Damit ist die Spaltung des christlichen Lagers perfekt.

Die letzte Wahl zum libanesischen Parlament fand noch vor Ausbruch des Bürgerkrieges im Jahre 1972 statt. Seither verlängerten die Abgeordneten ihr Mandat jeweils um vier Jahre, weil der Bürgerkrieg Neuwahlen nicht zuließ. Von den ursprünglich 99 Abgerodneten sind heute noch 73 am Leben. Das Gremium gleicht heute einer Altherrenversammlung. Viele, vor allem jüngere Libanesen, fühlen sich von dem Parlament daher nicht mehr repräsentiert. Die letzten Präsidentschaftswahlen im September 1988 waren am Widerstand Aouns gescheitert.

Auf einer Pressekonferenz am vergangenen Samstag stellte der General klar, daß sein Wille zur Torpedierung des Taif -Abkommens ungebrochen ist. Er drohte unverhohlen mit einer Spaltung des Landes. Wenn es dazu kommen sollte, fügte er hinzu, müsse der besetzte Teil des Territoriums befreit werden, und drohte damit unverhohlen mit einer Fortsetzung seines „Befreiungskrieges“ gegen die syrischen Truppen im Lande, der in diesem Jahr bereits 800 Tote gefordert hat und zu den bislang schwersten Bürgerkriegskämpfen überhaupt zählt. Parallel zu der Parlamentssitzung versammelten sich Aoun und seine Mitstreiter in Baabda, um zu erörtern, wie auf die Wahl eines neuen Präsidenten reagiert werden soll.

b.s.