: Arbeit macht Jugendliche krank
■ Sozialwissenschaftlerin erfragte den Gesundheitszustand junger Bremer ArbeiterInnen
Sabine lernt Verkäuferin in der Spielwarenabteilung von Karstadt. Während der Arbeit leidet sie unter Kopfschmerzen und Schwindelanfällen. Die schlechte Luft und das Neonlicht gehen ihr auf die Nerven. Nachts im Bett bekommt sie häufig schmerzhafte Krämpfe in den Beinen. Schuld daran sind die ungesunden Schuhe, meint sie. Aber: „Hübsche Schuhe gehören eben zur Berufskleidung.“ Eine Kollegin von ihr aus dem Kaufhaus, 21 Jahre alt, hat sich gerade die ersten Krampfadern wegoperieren lassen.
Sabine ist eine von 680 jungen BremerInnen, deren Gesundheitszustand die Sozialwissenschaftlerin Karen Spannhake in einer breiten Untersuchung erfragt hat. Von den Befragten waren 448 berufstätig, 232 gingen noch zur Schule. Sie waren um die 18 Jahre alt.
Mit der Auswertung der Befragung ist Karen Spannhake zwar
noch beschäftigt, aber einiges steht für sie schon fest: „Die jungen Berufstätigen klagen über Kreuz- und Rückenschmerzen und Schmerzen in den Schultern, im Nacken und in den Gelenken.“
Die gleichaltrigen SchülerInnen haben es dagegen mehr mit dem Gemüt: Sie sind nervös, können sich nur schwer konzentrieren und schlafen schlecht. Jedenfalls schlechter als die jungen Berufstätigen, deren Arbeitstag früh beginnt und spät endet: 20 Prozent der befragten Berufstätigen beginnen um sechs Uhr oder noch früher mit der Arbeit, und knapp 80 Prozent müssen vor sechs Uhr aufgestanden sein. Und die Freizeit der jungen ArbeiterInnen beginnt rund zwei Stunden später als die der GymnasiastInnen. Jede fünfte ArbeitnehmerIn muß bis nach 18.30 Uhr arbeiten, betroffen davon sind überwiegend die Frauen aus dem Einzelhandel.
Sabine, die angehende Verkäu
ferin bei Karstadt, wohnt bei ihren Eltern außerhalb der Stadt und kommt deshalb wegen der langen Anfahrt erst um 19.30 Uhr nach Hause. Zudem muß sie am Samstag von 8.30 bis 14.00 arbeiten. Viele junge Männer machen zu dieser Zeit Überstunden, zum Beispiel in Autowerkstätten. Überstunden fallen auch in der Woche an, obwohl sie für Jugendliche gesetzlich ausdrücklich verboten sind.
So weit, so schlecht. Dennoch sind jungendliche Berufstätige mit ihren Leben zufriedener als gleichaltrige Schüler. „Sie werden von den Erwachsenen erster genommen, und sie verdienen eigenes Geld“, meint Karen Spannhake. Die berufstätigen jungen Frauen hätten die Gründung einer Familie auch schon fest in ihrer Lebensplanung. Die SchülerInnen dagegen sind jugendlicher. Spannhake: „Sie haben auch die Zeit, auf ihre Gefühle und Bedürfnisse mehr zu achten, als die
Berufstätigen.“
Junge Berufstätige nehmen mehr Tabletten, sie rauchen mehr und trinken häufiger Alkohol als Schüler im gleichen Alter. Rauchen und Trinken gelten bei ihnen als Attribute des Erwachsenseins, sagt Karen Spannhake, aber die Jugendlichen helfen sich so auch über den Streß und Frust ihrer Werktage hinweg.
Wer im Jugendalter mit schwerer und eintöniger Arbeit anfängt, hat auch Chancen, früh damit aufzuhören - wenn er als Frühinvalide vorzeitig in Rente geschickt wird. Für diese These liefert die Untersuchung neue Anhaltspunkte. Karen Spannhake: „Das Wachstum dauert bis ins 21. Lebensjahr. Starke Belastungen vorher sind für die Gesundheit langfristig nicht förderlich.“ Deshalb hält die Sozialwissenschaftlerin eine tägliche Arbeitszeit von fünf Stunden für Jugendliche für angemessen.
mw
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