DIE PERFORMANZ DER PENETRANZ

■ Die Uraufführung von Thomas Bernhards „Elisabeth II.“ im Schiller-Theater

Alles schon einmal gesagt, alles schon einmal geschrieben hatte das nicht eine Figur von Thomas Bernhard schon einmal gesagt, hatte das nicht Thomas Bernhard schon einmal geschrieben? Bernhard war jedenfalls schon einmal weiter, hatte das schale, nutzlose Wissen um die ewige Wiederkehr des gleichen wiederum nicht auf den Begriff, sondern auf die immer schon bekannte Redewendung gebracht: Die Macht der Gewohnheit war der Titel eines Stückes von 1974; dreizehn Jahre später, 1987, als seine vorletzte Trakömie Elisabeth II. enstanden ist, hat die damals fürs erste weggeschriebene Floskel ihn wieder eingeholt. Elisabeth II., die Wiederholung der Wiederholung der Wiederholung, das Drama aller Dramen, in dem die Redundanz zum Prinzip wird, der Zwang zum Wiederholungszwang (wenn der Analysant träumt, was er meint, was der Analytiker möchte, was er träumt; wenn der Autor schreibt, daß einer sagt, daß einer merkt, daß alles schon geschrieben ist, wenn er schreibt, daß nichts zu schreiben ist etc. etc.) - ja, es gäbe viele Begriffe, mit denen zu sagen wäre, wie sich sagt, daß nichts zu sagen ist.

Doch so kompliziert diese logische Figur der Penetranz (als bloßer Ausdruck des faktischen Seins) eigentlich sein mag, so lächerlich und banal ist ihre Performanz: Bernhard Minetti hatte, so geht das Gerücht (als rein aleatorisches Verfahren übrigens ausgesprochen antipene trant) vor zwei Jahren, als Bernhard noch lebte, schlicht keine Lust, am Wiener Burgtheater den Großindustriellen Herrenstein in Elisabeth II. zu spielen. Er hatte alle diese Figuren, aus denen Hammerstein zusammengesetzt ist, schließlich schon einmal gespielt, hatte all diese Sätze schon einmal gesagt. Der monologisierende beinlose Krüppel Hammerstein - „ein österreichisches Rollstuhlschicksal“ sitzt dort seit 20 Jahren. Mit der beinlosen Guten in Ein Fest für Boris (derzeit ja zu sehen in der Freien Volksbühne) hatte es 1967 begonnen - und mittlerweile dreht die Rolle hohl, was dann übrigens tatsächlich „keine Komödie“ mehr ist, wie das Stück überschrieben ist.

Jetzt spielt Kurt Meisel den Hammerstein, die Gute, den Minetti, den Traugott Buhre, den Gert Voss, kurz: den Bernhard-Darsteller. Und Berlin spielt Wien, denn Wien darf wegen Bernhards Testament nicht mehr Bernhard vollstrecken, das Schiller-Theater spielt Burgtheater, der Bühnenbildner Paul Lerchbaumer bildet eine Bühne (massiv wie von Karl -Ernst Herrmann in einer kargen Version), und der Regisseur Niels-Peter Rudolph inszeniert eine Inszenierung von Claus Peymann. Das geht. Aber das ist nicht interessant.

Im Stück kommen die Leute in die Hammersteinsche Wohnung an der Wiener Ringstraße, weil sie die erstmals Wien besuchende englische Königin vom Balkon aus anglotzen wollen. Wir in Berlin können jetzt endlich unsere Bernhard-Uraufführung vom Parkett anglotzen. Wir werden einmal sagen können: Wir waren dabei.

Der Regisseur Niels-Peter Rudolph bezeichnet Bernhards Elisabeth II. als „fast so etwas wie sein künstlerisches Vermächtnis“. Hammersteins Diener Richard hat nach 25 Jahren die Nase voll und will weg von seinem Herrn, gleich vergißt Kurt Meisel den scharfen beleidigenden Ton und versinkt in näselnde Larmoyanz: Thomas Bernhard, sentimental - was für ein Begräbnis.

Gabriele Riedle

Regie: Niels-Peter Rudolph; Bühne: Paul Lerchbaumer; Kostüme: Dorothee Uhrmacher; Herrenstein: Kurt Meisel; Richard, sein Diener: Walter Schmidinger; Doktor Guggenheim, ein Nachbar: Erich Schellow; Fräulein Zallinger, Haushälterin: Sabine Sinjen.