GEYER, SCHUND UND HOTTE

■ „Nahaufnahme Neukölln“, eine Ausstellung zur lokalen Kinogeschichte im Heimatmuseum

Für jeden Kamera-Assi ist die Adresse Harzer Straße 37 in Neukölln ein Greuel. Dort steht das Geyer-Kopierwerk. Wer nach Drehschluß noch da raus muß, um das belichtete Material abzugeben, hat erst eine Stunde später Feierabend.

Daß es seit 1914 auf dem Gelände nach Entwickler stinkt, liegt an dem geschäftigen Karl A. Geyer. Der hatte drei Jahre zuvor als technischer Leiter im Atelier der Deutschen Mutoskop&Biograph das Herumdilettieren satt gehabt und war zu der Überzeugung gelangt, „daß die Verquickung von theatermäßigem Filmbetrieb mit seinem ausgesprochen künstlerischen oder bohemehaften Niveau dem streng industriellen und technischen Schaffen bei der Filmfertigbearbeitung in höchstem Grade abträglich sei“. Seitdem schnurren die Kopiermaschinen.

Geyers unternehmerischer Elan ist beispielhaft für den Beginn der großen Zeit des Neuköllner Kinos, die jetzt im Neuköllner Heimatmuseum in der Ausstellung Nahaufnahme Neukölln - Kinos, Kopiermaschinen vorgestellt wird. Dabei wird die kinematographische Geschichte des Berliner Arbeiterviertels an den unterbelichteten Plätzen der Filmindustrie ohne Glamour, dafür mit Hotte Buchholz aufgehellt: Kameraleute und Standfotografen werden entdeckt, und dem unbekannten Filmvorführer ist ein ganzer Raum mit alten Projektoren und Klebeladen gewidmet. Erinnert wird an den Arbeitsalltag von StatistInnen und Filmkleberinnen; das zugige Häuschen der Kartenverkäuferin Martha Schmidt ist nachgebaut worden. Fanpost und Plakate entwerfen dazu ein komplexes Bild zerstörter Kinolandschaft.

Aus den Randunschärfen vergessener Zeit treten auch die großen Kinopaläste „Excelsior“ und das „Palastkino Stern“ des Architekten Heinrich Möller heraus. Im Unterschied zum „Excelsior“ stand der „Palast“ noch in einem Hinterhof, abseits der Straße und bewirkte nur in seinem Innern, durch seine expressionistische Ornamentik, eine Suggestion der Verzauberung. Lediglich der dreieckig vorspringende Fensterpfeiler für Fotos machte Reklame für das Kino. Das „Excelsior“ dagegen setzte Möller regelrecht in Szene. Wirkte die Fassade tagsüber sachlich kühl und flächig, so erschien nachts durch die inszenierte Neonbeleuchtung eine Lichtarchitektur, die eine magische Stimmung der Illusion auch nach außen trug. Beinahe verblaßt sind die Geschichten der kleinen Stammkinos der 20er Jahre, schlüpfrige Eckmovies, die als „Brutstätten der Zusammenrottung“ und „Kintoppspelunken“ diffamiert wurden, waren sie doch Nachkommen jener verachteten Jahrmarktsvergnügungen, deren proletarisch-amoralische Provokationen das heuchlerisch -bürgerliche Publikum anwiderte: „Im Brennpunkt des Interesses stehen soziale Fragen. Meist wird in diesen Dramen der Kampf einer Frau geschildert zwischen ihren natürlichen, weiblich-sinnlichen Instinkten und den diesen entgegenstehenden sozialen Zuständen.“ Das Kino „kochte“, berichtet ein Sittenjäger.

Wie ein Schatten begleitet Geyer die Neuköllner Kinogeschichten. Seine Perforiermaschine, die 1911 als erste den Stanzvorgang beim Rohfilm automatisierte, war nicht die einzige Erfindung des Patriarchen. Entwicklungsrahmen und Trockentrommel, Kopiermaschinen und Bildmusterkarten demonstrieren ein Szenarium ästhetischer Manipulation und verdeutlichen zugleich den industriellen Prozeß der technischen Reproduzierbarkeit.

Die Idee zu dieser Ausstellung gab der Zufall, schreibt Udo Gößwald, der Leiter des Heimatmuseums: In einem Trödelladen entdeckte er einen alten Koffer - voller Fotos und Souvenirs. Was zunächst wie Gerümpel aus einem verlodderten Familienalbum wirkte und nach gammeligen Kondolenzlappen aussah, entpuppte sich bald als ein Schatz. Die Künstlerfotos und Premierenschleifen mit aufgedruckten Filmtiteln führten Gößwald zu der Schauspielerin Ilse Bachmann, die mit ihrem Mann, dem Filmmusiker Werner Heymann, 1933 in die USA emigrieren mußte. Die Bilder der Bachmann hängen an der Wand für die vielen, die spurlos verschwunden sind: In der Wohnung nachts, am Bahnhof, in Auschwitz. Auch gegen das Vergessen ist diese kleine wunderbare Ausstellung eingerichtet.

rola

Die Ausstellung „Nahaufnahme Neukölln“ ist bis zum 8. April 1990 im Emil-Fischer-Heimatmuseum, Neukölln, zu sehen. Mi 12 -20 Uhr und Do bis So 10-17 Uhr. Der Katalog kostet 18 DM. Eintritt ist frei.