Das weite Feld des Ungeliebten

■ Anmerkungen zu Alfred Hrdlicka, aus gegebenen Anlässen

Hans-Georg Behr

Was für ein gespenstischer Auftakt: Die angekündigte Frau Senatorin Martiny ließ sich entschuldigen und schickte ihren zweiten Mann zur Rede, der ein Meisterwerk politischer Sprachkunst vorführte („Man könnte Hrdlickas Monumente fast monumental nennen...“, aber warum dann doch nicht, sagte er auch nicht). Es folgte ein Spaßvogel, der sich selbst als „heute einmal launig“ ankündigte: „Ich habe mich natürlich gefragt, ob es nicht in der gegebenen Lage in Berlin mißverstanden werden könnte, wenn ich als Ministerpräsident des Saarlandes heute hier... und deshalb möchte ich meinen Beitrag nur als launig verstanden wissen.“ Und so launig weiter, gefolgt vom ehrwürdigen Hans Mayer, der mittlerweile Kraut und Rüben gleich wunderbar findet, und Herrn Ruckhaberle, der die glühenden Kohlen unter dem Sisal der Staatlichen Kunsthalle als Hausherr natürlich auch spürte. Dann sprach der Künstler, und dann war's mit der Gemütlichkeit endgülitg vorbei.

„Ich weiß, daß man mich in Berlin loshaben will.“ (Widerspruchsgrummeln in pianissimo) „Ich hätte so eine eigenartige Auffassung von Kunst. Nun, hier kann man einen Teilaspekt sehen, und ich habe mich für das Reproduktive entschieden, aus akademischen Gründen...“

Ausgestellt ist das druckgraphische Gesamtwerk1, insgesamt 1.180 „Arbeiten“, wie das mittlerweile heißt, angereichert durch viele Bronzen, aber über Hrdlickas Kunst kann man im Augenblick ohnehin kaum reden, am wenigsten in Berlin, wo sich die Kunsthochschule derzeit eher als eine der darstellenden Künste geriert.

Also Berlin. Hat man ihn dort je haben wollen? Als die Nationalgalerie in den Sechzigern Mondrian feierte, stellte er seinen Radierzyklus Roll over Mondrian aus. „Der Typ der zahnlosen Intelligenzbestie hat den Kunstbetrieb in ein Grundforschungsinstitut verwandelt“, stand im Begleitmanifest, und „Bauhaus und ähnliche Tendenzen haben Moral und Gepflogenheiten der Kölner Heinzelmännchen in die Bildende Kunst eingeschleppt. Gruppenfleiß und Bastlergeist sollen künstlerisches Risiko ersetzen.“ So hatte er denn auch Mondrians dekorative Rahmen prall mit Wirklichkeit bis hin zu Vietnam gefüllt.

1975 stellte die Nationalgalerie ihn aus, und er zeigte ausgerechnet Wie ein Totentanz, seinen großen Zyklus zu Faschismus und Widerstand, in dem er nicht ohne Bosheit darlegt, warum sich unser achsofreier Westen vor allem an die Männer des 20.Juli hält. 1978 wurde er als korrespondierendes Mitglied der Akademie der Künste/Ost 1986 an die Hochschule der Künste/West berufen.

Nein, dort hatte man ihn überhaupt nicht haben wollen, und Herr Professor Klaus Fußmann als Rektor forderte 1985 ganz ernsthaft Gutachten über Hrdlickas künstlerische Fähigkeiten an. Er bekam sie auch, u.a. von „Director Donald Duck, Museum of Modern Art, New York (nach Diktat fristlos entlassen)“. Der Herr Rektor überlebte das Gelächter der Öffentlichkeit nicht, trat zurück, und Hrdlicka kam. Man nennt sowas auch „unter nicht gerade günstigen Ausgangsbedingungen“.

Über seine hatte er auch verhandelt. Eine Grundbedingung war, daß sein Schüler der ersten Stunde, Hans Sailer, ihn jederzeit vertrete, und daß er „am Hochschulleben nicht teilnehmen“ werde. „Ich werde bei keiner Prüfung anwesend sein. Ich werde schauen, daß Sailer mich in der Sache vertritt. Einzig und allein interessiert mich das, was in der Klasse passiert. Andererseits hat niemand das Recht, sich von außen in meine Unterrichtsmethoden oder in das, was ich vertrete, einzumischen. Ich kann nur unterrichten, was ich selbst als freier Künstler vertrete.“ Und da hatte er ja immer schon was vorzuzeigen. Es war absehbar.

Darüber könnte man diskutieren, hätte diskutieren müssen. Hrdlicka hat sich selbst jahrelang als ungeliebter Schüler auf der Akademie herumgetrieben. Seine Aktzeichnungen waren nie die geforderten Bewegungsstudien, sondern höchst naturalistische Darstellungen körperlicher Verbrauchtheit. Sein Bildhauereilehrer Wotruba hatte gerade den Menschen als „nicht gestaltungswürdig“ entdeckt, als sich sein Schüler Michelangelo zum Vorbild ausguckte. Er lernte, Menschen darzustellen, und das erklärte Ziel, die Krone der Kunst sei die Abstraktion, tat er ab: „Man muß doch nicht erst Anatomie studieren, um eine Parkbank streichen zu können.“

Seine Vorstellung der Kunstschulung als kreativer Freiraum unter gegebenen Zielen - er selbst könnte sich ja auch als akademisch graduierter Autodidakt darstellen - ist bedenkenswert, auch seine Kritik am derzeit herkömmlichen Betrieb, „der eher Jünger erwartet“, und in dem sich die Studenten „vor allem am Galeriemarkt orientieren“. „Ich fühle mich nicht berufen, zur Kunstmodenbefolgung aufzufordern - ich gehöre selbst ja keiner Richtung an und habe schon die meisten überlebt.“ Verarscht fühlt er sich, wenn er, dessen Kunstauffassung er als bekannt voraussetzt, mit Studenten über Rückriemereien diskutieren soll oder „über Monochrome. Da kann man natürlich stundenlang darüber reden - aber wer soll auch was gegen Rot haben oder Blau... Mich interessiert figurales Gestalten und ein Thema, das auch gesellschaftsbezogen ist. Mehr ist von mir nicht zu erwarten.“ Stinksauer wird er immer aufs neue über den Satz eines Studenten: „Ich bin doch nicht verrückt, um das Werk zu ringen.“ Wer das Hrdlickas sieht, müßte dafür Verständnis haben.

Ach nein, die Auseinandersetzung erfolgte auch weiterhin im Stile Fußmann, und zunächst wurde Hans Sailer mit bürokratischen Fisimatenten entnervt, natürlich in der frohen Hoffnung, mit ihm auch Hrdlicka loszuwerden. Zum Bruch mit den Studenten kam es anläßlich einer DDR-Reise der Klasse mit Sailer, der sie dabei „arroganter Wessie -Manieren“ bezichtigte. Sowas hören Wessies in der DDR ja auch nicht gerne. Der Karren lag schon fast im Graben, als die Behörde noch etwas Dreck nachgoß. Die Frau Bildungssenator schrieb Hrdlicka, Wohnsitz seit 1928 Wien, einen Brief, sie habe gehört, der Mann würde seinen Wohnsitz von Berlin nach Wien verlegen, was sie bedenklich fände, und ehe sie diesen Brief ins Postkästchen warf, gab sie ihn der Presse. In diesem „Zwerge-können-eben-nicht-höher„-Stil geht's seither munter weiter, und nun hat Hrdlicka genug und möchte da raus. Es geht ihm nur noch um einen geraden Abgang.

Aber gerade den wollen ihm seine Kontrahenten natürlich nicht gönnen. Vielleicht könnte sich die AL dazu aufraffen, dieses Politikum in einer öffentlichen Anhörung unter Teilnahme Hrdlickas aufzudröseln, auf daß man einen Faden aus dem Labyrinth finde. Das wäre etwas Neues und sogar Vernünftiges, könnte aber unter Unmständen die alternative Phantasie überfordern.2

Ach nein, er macht es sich und uns nicht leicht. „Angriffig“ hieß seine Kunst schon in den Sechzigern, sein scharfer Realismus, der sich vorwiegend mit „abseitigen“ Themen befaßt und die „klassischen“ höchstens denunziert (das Genre Landschaft bedient er meist nur durch zitierte Versatzstücke, und dazu genügt ihm schon ein Blümchen, kindlich gezeichnet, zur Umwelt). Wir haben die düsteren Lektionen der Wirklichkeit gelernt: Sexus, Gewalt, Faschismus, Unterdrückung, Leid - sowas wollen wir aber nicht auch noch an unseren Wänden haben (weshalb „Kunstberater“ auch vor derartigen Themen abraten - sie seien „nicht sehr wertsteigerungsträchtig“). Die überbordende Berliner Ausstellung3 zeigt Hrdlickas „Antiästhetik“ in ihren Zyklen.

Druckgraphik, vor allem die Radierung, nannte er einmal „meine Abendhaltung“ und verglich sie mit Tagebuchführung. Seine „Schrift“ zeigt Rembrandt und Goya als Vorbilder, und sein vorwiegendes Medium ist die Radierung. Frühe Linolschnitte gegen den Kalten Krieg und ein Lithozyklus über die Arbeitswelt sind Ausnahmen, und später wendet er diese Techniken nur sehr spärlich an - sie scheinen ihm nicht vielseitig genug. Auch die Radierung behandelt er lange als „Zeichnen auf Kupfer“ (1001 Nacht - die Welt der Prostituierten; Martha Beck - die Frauenmörderin aus Eifersucht; Samson). Mit den politischen Zyklen Haarmann (1964/65), Winckelmann (1965) und Roll over Mondrian (1966) erweitert er die Palette seiner technischen Möglichkeiten und bringt fallweise auch Farbe in die Platten. In den 47 Arbeiten zu Randolectil - ein Einschleichversuch in die Welt geistig Erkrankter (1968) kommen zu Radierung und Kaltnadel noch Schabkunst und Aquatinta. Hier erwies sich die Notation auf Kupfer als notwendig - ein Teil der Arbeiten entstand in einer psychiatrischen Klinik, wo weder Patienten noch Personal merkten, daß sie gezeichnet wurden, sondern eben „nur wen mit einer Kupferplatte spielen sahen“. Mittlerweile hat Hrdlicka alle Mittel der Radierung auf der Platte, und erstaunlich ist nur, wie er mit diesem scheinbar beschränkten Medium immer wieder neue Nuancen erfindet.

Damit waren auch schon die Grundthemen gegeben, die ihn seither in Zyklen beschäftigen: Phänomene der Psychopathologie - Hamlet, Hölderlin, Rakes Progress, Basaglia, Ascites -, Politik - Wie ein Totentanz, Bauernkriege, Wiedertäufer, Die französische Revolution, Societas Jesu -, Sexualität - Hausmeisterbriefe, Kaiserallee, Wiener Blut, Große Freiheit, Pasolini, Rodin

-und Literatur (Arbeiten zu Büchner, Kleist, Goethes Faust, Döblin, Canetti, Neruda und Christa Wolf).

Hrdlicka ist nichts für schwache Nerven. Er ist deutlich. Das hätte man auch in Hamburg wissen können, als man ihn mit dem Denkmal für die Opfer des Krieges und Faschismus beauftragte. Nun will man's nicht sehen und hätte lieber was sauber Abstraktes gehabt. Das zumindest ergibt sich aus einem Buch4, in dem die Hansestadt ihr Mäzenatentum feiert. Nachdem eimerweise Lob auf Gegenstandsloses und Minimal Art gekippt wurde, darf Spiegel-Westkunst-Hohmeyer darin - wie schon NPD und DVU - zum Abriß des Denkmals auffordern. Schön, könnte man sagen, der Mann ist in Gesellschaft, und Hamburg hat ja schon die goldene Barbarenhochzeit der Bücherverbrennungen und Denkmalsstürze gefeiert. Doch ist der Herausgeber des Werkes jener Herr Senatsdirektor Plagemann, der auftrags der Kulturbehörde für die Weiterführung des Denkmals zuständig ist, und da denkt man nicht nur an künstlerische Formen. Aber die beiden übersahen in ihrem Schaum über den „Torso“, daß Hrdlicka ihre Liebe auch absehen konnte und gerade deshalb den ursprünglichen Entwurf soweit abgeändert hat, daß schon jetzt etaws Ganzes dasteht.

Ach ja, man hat's nicht leicht mit ihm. Auch die Berliner Ausstellung ist ein gewaltiger Brocken und will erst einmal verdaut werden. Wuchtet da einer ganz unverschämt ein Lebenswerk in eine langweilige Halle und wundert sich, daß den Leuten die Luft wegbleibt. Wer ihn kennt, weiß um seine manische Panik, einen Augenblick zu versäumen, in dem er nicht zeichnen kann, schreiben oder Figuren aus immer größeren Steinen meißeln. „Aber man kann der Kunst auch nicht verwehren, daß sie größenwahnsinnig ist. Leb‘ ich auf Sparflamme oder in der wüsten Vorstellung, daß ich alles hinkrieg‘?“

Der Mann ist ein Artaholic, und sowas ist nie problemlos, denn es zeigt Narben. Als Schriftsteller und Polemiker beispielsweise scheint er dünnhäutiger geworden, schriller und stereotyper - wundert's wen, der den Geifer gegen ihn kennt? - als hätte er zum Stichel nun weniger Vertrauen als zum ebenfalls vertrauten Ballermann. An Pasolini andererseits hat er geschätzt, „daß der sich für nichts zu schade war“. Dagegen können Wertkonservative einwenden, daß es auch Distinktionen gäbe.

Damit sind wir bei einem Dilemma, das nicht nur Hrdlicka trifft, und der Berichterstatter muß um Geduld bitten für ein Plädoyer für ausgerechnet - Kunsthistoriker. Sie traten, wie ihr Name sagt, erst auf, wenn der Pulverdampf verzogen war, auch wenn sie - wie Vasari und Michelangelo - fast Zeitgenossen waren. Sie registrierten was blieb, und das war - alle Verluste in Ehren, doch es gibt ja auch Kataloge einzelner Werkkomplexe - manchmal eine Legende, oft eine Essenz, fast immer der Sockel für den Meister. Das Herausragende blieb allgegenwärtig, das Übrige künftigen Kunsthistorikern als Übungsfeld für Diplomarbeiten überlassen. Die Yuppie-Revolution, die sich massenhaft an den singulär erkämpften Erfolg hängt, hat auf diesem Gebiet außer dem Künstler-Generalbevollmächtigten (mit regionaler Befugnis) auch den progressiven Universal-Archivar eingeführt, lauter High-Tech-Eckermänner, die noch jeden Furz in ein Weckglas bannen und als „authentische Äußerung“ verhökern. Ich weiß nicht, ob das freundlich zu den Künstlern ist. Niemand ist stets nur in Höchstform, aber das Beste bleibt. Muß man es erst unter Geröll entdecken? Als Bildender Künstler hütet Hrdlicka ja seinen Papierkorb.

Die Kunst der Überdokumentation ist keine progressive, nur envogue, und ist eigentlich künstlerfeindlich. Ein zugegebenermaßen schwaches - Exempel zur Probe ist Horst Janssen, der gerade geburtstäglich unter Dokumentationen -Das Frauenbild, Das Landschaftsbild, usw. usf. bis zum Erbrechen - beerdigt wird. Auf einmal sieht man, muß frau sehen, daß auch dieses von Helmut Schmidt (!) erkannte (!) Genie (!) nur ein manieristischer Zeichner mit höchst beschränkter Bandbreite ist. Von Hrdlicka, der in der BRD lange Zeit mit diesem Meister verglichen wurde, bleibt mit Sicherheit mehr, trotz der Bücherzighurrats darüber, denn er hat mehr(ere) Feuer und kocht weniger sich selbst als das wüste Ragout dieses Jahrhunderts. Da bin ich zu wetten über meinen Nachlaß bereit.

Ich habe ja auch keine Lust, die ewigen „Weniger-wäre-mehr -gewesen„-Schnösel zu bedienen. „Das druckgraphische Gesamtwerk“, auf zwei Etagen einsehbar, zeigt ein „Künstlerleben“ mit seinen Höhen des großes Wurfes und den Atempausen, dem Suchen und den Auftragspausen dazwischen. Kunst muß auch was sehr Erotisches sein, ist es zumindest für Hrdlicka, ist „angriffig“ und macht an, als S/M eines ruhelos denkenden Menschen, der sich auch die Sottise leisten kann: „So lieb ist der liebe Gott nun auch wieder nicht, daß er dem, der keinen Inhalt hat, die Form schenkt.“

1 Alfred Hrdlicka „Das Gesamtwerk - Druckgraphik“, 2 Bände, herausgegeben von Michael Lewin, Europa-Verlag Wien, 280 DM, als Katalog der Staatlichen Kunsthalle Berlin bis 17.Dezember 50 DM.

2 Material dazu auch in der Textsammlung „Alfred Hrdlicka: Die Ästhetik des automatischen Faschismus“, herausgegeben von Michael Lewin, Europa-Verlag Wien, 38,50 DM, die außer Dokumentationen auch Polemiken und Essays enthält.

3 Das druckgraphische Werk, Staatliche Kunsthalle Berlin, bis 17.Dezember.

4 Volker Plagemann (Hrsg.) „Kunst im öffentlichen Raum“, Dumont, 46 DM.