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Aids ist nicht Verhandlungssache

■ Bundesweite Demonstration am Bundesgerichtshof in Karlsruhe gegen die zunehmende Verrechtlichung einer Infektionskrankheit / Teilnehmer verlangen den Verzicht auf Seuchengesetz und Strafrecht / Richter und Staatsanwälte haben im Schlafzimmer keinen Platz

Karlsruhe (taz) - Gegen die zunehmende Verrechtlichung von Aids und die Anwendung von straf- und seuchenrechtlichen Sanktionen gegen Menschen mit HIV und Aids haben am vergangenen Samstag in Karlsruhe mehrere hundert TeilnehmerInnen aus dem ganzen Bundesgebiet demonstriert.

Vor genau einem Jahr, am 4.November 1988, hatte der Bundesgerichtshof in einem Grundsatzurteil bestätigt, daß HIV-Positive und Aids-Kranke - sofern sie von ihrer Infektion wissen - sich beim Geschlechtsverkehr strafbar machen können. Mit diesem Grundsatzurteil wurde erstmals höchstrichterlich den HIV-positiv getesteten Menschen die alleinige Verantwortung dafür zugeschoben, ihre PartnerInnen vor einer möglichen Infektion zu schützen.

Zu dem von der Deutschen Aids-Hilfe (DAH) veranstalteten Aktionstag hatten PolitikerInnen, StrafverteidigerInnen, Selbsthilfegruppen, Junkie-Bund und Prostituierten -Initiativen aufgerufen. Einer juristischen Logik, die Betroffene zu Sicherheitsrisiken erklärt, müsse, so die gemeinsame Erklärung, eine deutliche Absage erteilt werden.

Dementsprechend vielfältig sind die in Karlsruhe veröffentlichten rechtspolitischen Forderungen: Nichtanwendung von Strafrecht und Bundesseuchengesetz mit Zwangs- und Absonderungsmaßnahmen, Verbot von „heimlichen“ HIV-Antikörpertests in Kliniken und Arztpraxen, Verschärfung der ärztlichen Schweigepflicht, Haftentlassung für Aids -kranke Strafgefangene und Nichtabschiebung von Aids-kranken Ausländern. Darüber hinaus verlangten die Redner der Kundgebungen in der Karlsruher Innenstadt die vollständige Anerkennung der Prostitution als Beruf mit allen sozialrechtlichen Ansprüchen. Die Aids-Hilfen sprachen sich noch einmal gegen Versuche aus, das sexuelle Selbstbestimmungsrecht durch Richter und Staatsanwälte normieren zu lassen.

Ein Auseinanderdividieren in „Präventionsstrategen und Triebchaoten“, so DAH-Vorstandsmitglied Uli Meurer, führe zu einer neuen Zwei-Klassen-Gesellschaft, die mit allen Mitteln verhindert werden müsse. Besonders hervorgehoben wurden die mit der Drogenpolitik von Aids-Hilfen und Junkie-Initiativen zusammenhängenden rechtspolitischen Forderungen. Aids-Hilfe -Vorstand, Substituierte und Junkie-Bund-Vertreter erklärten, die Erfahrungen mit Substitutionsangeboten und Ersatzdrogen-Vergabe im Einzelfall hätten deutlich gemacht, daß die bestehenden Angebote nicht ausreichten und eine Änderung des geltenden Betäubungsmittelgesetzes zur Entkriminalisierung der User unumgänglich sei.

Das letztjährige Bundesgerichtsurteil hat inzwischen zu einer Welle ähnlicher Strafurteile und Ermittlungsverfahren geführt. Spätestens seit dem Karlsruher Richterspruch, so wurde kritisiert, sei es in der Bundesrepublik möglich, Informationen über das Sexualverhalten HIV-Positiver, die vielfach nur aufgrund der Nichteinhaltung ärztlicher Schweigepflicht oder Denunziationen aktenkundig werden, strafprozessual zu verwerten. In Zukunft befürchten die Aids -Hilfen eine weitere Zunahme an Fällen von Datenmißbrauch, bedingt durch computergestützte Datensammlungen in den Kliniken.

In einer Erklärung sprachen sich die Teilnehmer des Aktionstages gegen die Abschiebung des Aids-kranken Palästinensers Ahmed Z. in den Libanon aus. Sie forderten, dem 28jährigen (die taz berichtete über den Fall) aus humanitären Gründen ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu gewähren.

Peter Lindlahr

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