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Überfall auf Mieterberater

■ Ehemalige Besetzer versuchten beim Verein SO 36 Mieterakten von türkischen Bewohnern zu klauen / Ärger im Stadtteilausschuß / Konsequenzen angedroht

„Als er die Tränengasdose auf mich gerichtet hat, dachte ich, das könnte auch ein Messer sein“, sagt Özcan. Dem türkischen Mieterberater sitzt noch der Schock in den Knochen. Am Montag abend wurde das Büro des Vereins SO 36 in der Kreuzberger Cuvrystraße überfallen. Vier maskierte Männer versuchten, dort Akten mit persönlichen Daten von Mietern zu klauen. Özcan, seine Kollegin Kadriye und ein weiterer Mieterberater wurden getreten, Tränengas wurde gesprüht, auch ohne Rücksicht auf anwesende türkische Mieterinnen. Die vier Maskierten gehören zu einer Gruppe von Kurzzeitbesetzern der Lübbener Straße 27 und 29, die Zwischennutzungsverträge für 21 Wohnungen bis zum Baubeginn am 1. Dezember haben. Nach der Modernisierung sollten die bisherigen - meist türkischen - MieterInnen wieder in ihre Wohnungen zurück. Jetzt wollen die Ex-Besetzer bleiben. Schon vor Wochen verlangten sie vom Verein die Adressen der Umsetzmieter, offenbar um diese unter Druck zu setzen, was dieser entschieden ablehnte. Man bestehe darauf, daß die Umsetzmieter ohne Verzögerung in ihre Wohnungen zurückkönnen. Der Überfall blieb erfolglos. „Kadriye hat die Akten festgehalten, obwohl sie geschubst und getreten wurde“, erzählt Özcan nicht ohne Stolz. Bei dem anschließenden Gerangel gelang es einem der Berater, eine der Vermummung dienende Mütze zu erbeuten. Als auch noch ein Passant hereinkam und half, flüchteten die vier.

Gestern im Stadtteilausschuß SO 36 war der Ärger noch groß. Zwei Besucher, die dem derzeitigen Bewohnerkreis der Lübbener Straße zugerechnet wurden, wurden kurzerhand fast einstimmig rausgeworfen. „Solange Ihr Eure Schlägertrupps schickt, reden wir nicht mit Euch“, meinte ein Mieterberater knapp. „Es gibt hier westdeutsche Mittelstandsjugendliche, die Sozialromantik in Kreuzberg ausleben, das geht auf Kosten der wirklich Obdachlosen hier“, sagte ein Mitarbeiter des Arbeitslosenladens. Die Belästigung der „normalen Leute“ durch die lauten, oft bedrohlich auftretenden Besetzer beklagte ein Mieter aus der Lübbener Straße. „Konsequenzen“, forderte Volker Härtig, „nicht als ALer, sondern als Kiezbewohner.“ Beispielsweise solche Leute anzuzeigen, zumal sie namentlich bekannt sind, sagte er. Der Verein SO 36 überlegt sich, noch Anzeige zu erstatten. Es ist nicht das erste Mal, daß Vereinsmitarbeiter bedroht oder Scheiben eingeworfen wurden.

Vorwürfe richtete der Verein an die Hausbesitzerin BeWoGe. Die habe den Leerstand durch schlechte Organisation zu verantworten. BeWoGe-Prokurist Zwingelberg versprach, den Baubeginn Anfang Dezember einzuhalten.

esch

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