Standbild: Radikalität und Weihrauch

■ "Wir wollen nicht länger auf die Zukunft warten"

(„Wir wollen nicht länger auf die Zukunft warten...“, Mo., 21.10 Uhr, ARD) Nun ist die ehemalige Opposition in Polen an der Regierung, aber für die Jugendlichen, die sich in den heroischen Zeiten der Solidarnosc noch auf Schulhöfen balgten, ist auch sie schon Teil der ungeliebten Verhältnisse.

Ihren radikalen Kindern gelten die Helden von einst als kompromißlerische Schlappsäcke, die unfähig sind, die Russen aus dem Land zu jagen und den Sozialismus wegzuputzen. Leider nahm sich Regisseur Hermann Engelbrecht nicht die Zeit, den politischen Hintergrund zu differenzieren. Schließlich mußte er noch zackige Offiziere, nicht mehr ganz so zackige Pfadfinder und einen sympathischen Jungbauern unterbringen. Dafür wurde die Umweltbewegung nur genannnt, und von der Gruppe „Wolnosc i Pokoj“ erfuhr man nicht, daß sie antimilitaristisch ist.

In der polnischen Jugend scheint politische Apathie und generelle Hoffnungslosigkeit vorzuherrschen. Sie äußern sich in Beliebigkeit, Alkoholismus oder expressivem Ausstieg. Das Bild ekstatischer Musikfans auf dem Rockfestival in Jarocin hätte bei Manchester aufgenommen sein können. Anteil am Drogenproblem nimmt auch die katholische Kirche, die sich protestantischen Sekten anzupassen scheint. „Tiefe Religiosität“ fand er bei musizierenden Alkohol- und Drogensüchtigen, die von einem Salesianerpater zur schwarzen Madonna nach Tschenstochau geführt wurden. Dem Kommentator fiel nicht auf, daß der abgründige Kontrast zur staunenden Dorfbevölkerung ganze Bibliotheken über die polnische „Identität“ ergänzungsbedürftig macht. Immerhin erkannte er die gesellschaftliche Machtstrategie der Kirche.

Da hat es die PVAP-Jugend schwer, die wenigstens mit Computerkursen lockt. Obwohl viele ihre Mitglieder sich für eine Messe vom Monitor locken lassen, scheinen sie, Gott sei's geklagt, die Nüchternsten zu sein. Hoffnung verbreiteten auch zwei Jungunternehmer aus Stettin und Abiturientinnen, die zwar nicht wußten, was, aber daß sie etwas anpacken werden.

Hätte der Film sich weniger bei der gegenwärtigen Misere aufgehalten und sich mehr auf die unterschiedlichen Weisen, mit ihr umzugehen, konzentriert, dann hätte er zeigen können, wie sehr die gegenwärtigen Situation eine des Übergangs ist. Es muß doch Leute geben, die mit den neu gewonnenen Freiheiten etwas anfangen können.

Erhard Stölting