Zum Bürgerkrieg verdammt?

■ Nach gescheiterten politischen Lösungsversuchen sprechen in Kambodscha wieder die Waffen

Nach dem Scheitern der Pariser Kambodscha-Konferenz droht der Bevölkerung des durch Krieg zerstörten Landes erneut die Katastrophe. Phnom Penh zittert vor der Rückkehr der Roten Khmer. Nach wie vor wird Kambodscha mit internationaler Hilfe ausgeblutet: Die Menschen werden dafür bestraft, daß ihnen die Vietnamesen gegen das mörderische Pol-Pot-Regime zur Hilfe kamen. Die USA liefern Waffen, die Briten bilden Sihanouks Guerillas aus, und die Bundesrepublik behält ihre Entwicklungshilfe im Schrank.

Die kambodschanische Widerstandskoalition steuert geradewegs auf ein großes Kräftemessen mit den Regierungstruppen zu. Nur fünf Kilometer von der thailändischen Grenze entfernt, im Dorf Tha Ta-Chada, sei es am Montag zu schweren Gefechten zwischen den Guerillas und den Regierungstruppen gekommen, so ein Sprecher der thailändischen Armee in der Grenzstadt Aranyapathet. Ziel der neuen Offensive der Regierungstruppen ist die Rückeroberung der Stadt Pailin, die vor kurzem den Roten Khmer in die Hände gefallen war. Die Regierung in Phnom Penh hatte am Samstag zur Unterstützung ihrer Truppen in der westlichen Provinz Battambang Soldaten, Panzer und Artillerie in die umkämpften Gebiete entsandt.

Nach offiziellen Angaben stehen der kambodschanischen Armee in der Provinz Battambang rund 5.000 Guerilleros der kommunistischen Roten Khmer gegenüber. In der Provinz Banteay Meanchey stünden etwa ebensoviele Kämpfer der Parteien von Prinz Norodom Sihanouk und dem ehemaligen Ministerpräsidenten Son Sann. Zusammen bilden sie die Drei -Parteien-Widerstandskoalition, deren Ziel die Absetzung des provietnamesischen Regimes in Phnom Penh ist.

Die Roten Khmer sind gemeinsamen Aktionen der Koalition gegenüber traditionell mißtrauisch eingestellt. Allzu enge Beziehungen zu den Nachfolgern des mörderischen Regimes Pol Pot wurden bisher auch von den beiden „bürgerlichen“ Widerstandsbewegungen bewußt vermieden. Dies scheint sich nun, zumindest auf militärischem Gebiet, zu ändern. Vor kurzem traf sich Sihanouks Sohn und Oberkommandierender seiner Guerilla, Norodom Ranariddh, mit dem „Verteidigungsminister“ der Roten Khmer.

Sie wollten eine gemeinsame Strategie für ihren Kampf festlegen. Auch der Charakter der Operationen hat sich geändert. Der Krieg wird heute konventioneller geführt: Frontalangriffe und der Einsatz schwerer Artillerie weisen darauf hin. Auch übernehmen die Roten Khmer nach der Einnahme die örtliche Verwaltung. Die Bevölkerung ist dabei den neuen Machthabern nicht immer freundlich gesonnen.

„Die Gefahr einer Rückkehr der Roten Khmer ist heute sehr real“, sagt Margaret Boden, eine britische Entwicklungshelferin, die während des vietnamesischen Truppenabzugs aus Kambodscha zurückgekehrt ist. Schulterzuckend versichert ihr ein Mann, der seine gesamte Familie während der Pol-Pot-Ära verloren hat, daß sich die Geschichte wiederholen und die Roten Khmer zurückkehren werden; lieber heute als morgen würden die meisten Kambodschaner das Land verlassen. Doch ein Dorfvorsteher, der seine Familie ebenfalls unter den Roten Khmer verloren hat, weiß: „Ich habe keine andere Wahl als bis zum bitteren Ende zu kämpfen.“

Ob mit oder ohne Ausgangssperre, Punkt zehn Uhr nachts macht sich die Phnom Penher Bevölkerung aus Angst vor den Roten Khmer sowieso aus dem Staub. Der australische Journalist John Pilger, dem es vor zehn Jahren gelungen war, Kambodscha nach der Invasion durch die Vietnamesen zu besuchen und einen aufsehenerregenden Film zu drehen, hat jüngst einen weiteren Dokumentarfilm, Kambodscha im Jahre Zehn, fertiggestellt. „Die Angst berührt dich, sobald du Leute triffst“, erklärt Pilger, „und auf der Reise durchs Land begleitet dich immer eine unterschwellige Bedrohung, ein Gefühl, daß demnächst etwas Schreckliches geschehen wird.“ Viele Leute haben vorsichtshalber schon ihre Namen geändert. Und so gut wie keiner trägt mehr eine Brille, weil all jene, die dies früher taten, als Intellektuelle oder Bourgeois ausgemacht und brutal umgebracht wurden.

Angst vor Eskalation

des Bürgerkrieges

Ein ausländischer Entwicklungshelfer beschreibt das in Phnom Penh vorherrschende Gefühl als „gleichförmiges Zittern“. Im Monat vor dem endgültigen Abzug der Vietnamesen hätten die Kambodschaner in Phnom Penh Notvorräte angelegt und ihre Ersparnisse in Gold getauscht, jederzeit bereit, die Hauptstadt eiligst zu verlassen.

Monatelang haben die Roten Khmer ihre militärische Stärke entlang der thailändischen Grenze ausgebaut. Nach Auskünften von Vertretern von Hilfsorganisationen, die regelmäßig die Flüchtlingslager entlang der Grenze besuchen, seien Tausende als Träger oder Kundschafter in die Guerilla gezwungen worden. Ärzte berichten von zunehmendem Beschuß der Flüchtlingslager.

Trotz der militärischen Aktivitäten glauben die meisten Beobachter, daß die Kampfhandlungen erst Ende des Jahres eskalieren werden, wenn die Guerilla-Einheiten ihre Brückenköpfe am Meer ausgebaut haben und die Auswirkungen des vietnamesischen Truppenabzugs richtig einschätzen können. Dennoch: die Terrorakte gegenüber Zivilisten, die Verbrennung von Häusern, die Vernichtung von Ernten und die selektive Exekution von Dorfältesten haben wieder zugenommen. Rot-Kreuz-Mitarbeiter berichteten von wöchentlichen Angriffen der Roten Khmer um Sisaphon, nahe der thailändischen Grenze. Kurz vor dem vietnamesischen Abzug steckten sie die Krankenstation eines Dorfes in Brand und töteten neun Leute. Kein Zweifel, daß die exilierten Kräfte der von den 40.000 Roten Khmer dominierten Koalition in den letzten Wochen in die Offensive gegangen sind. Die Grenzstadt Pailin ist nach wochenlangem Beschuß mitsamt der Edelsteinindustrie und dem wichtigen Zugang nach Battambang an die Roten Khmer gefallen. In der Provinzhauptstadt wollen sie noch vor Weihnachten eine provisorische Regierung ausrufen. Nach Auskunft von Überläufern sei die Pol-Pot -Guerilla in die meisten der kambodschanischen Provinzen eingedrungen. Dem 20jährigen Yang Channa zufolge befinden sich allein 3.500 Khmer Rouge in dem Gebiet von Kompong Cham. Kompong Speu, wo es ebenfalls zu schweren Kämpfen kam, ist von strategischer Bedeutung für die Guerillas, weil von hier aus ein wichtiger Zugang ins Landesinnere gesichert ist.

Obwohl niemand ernsthaft daran zweifelt, daß es die Guerilla letztendlich auf Phnom Penh abgesehen hat, ist die gegenwärtige Bedrohung de facto sehr gering. Doch die Roten Khmer versuchen sich bereits in eine gute Ausgangsbasis zu bringen.

Die Widerstandskoalition verfügt bereits über Raketenbasen und Luft-abwehrwaffen, die einen Angriff auf Phnom Penh noch wahrscheinlicher machen. Ein kürzlich aus Kambodscha zurückgekehrter europäischer Diplomat machte den Unterschied zur Situation in Afghanistan noch einmal deutlich. Dort hätten die Raketeneinschläge in Kabul kaum an der Moral der Bevölkerung gekratzt. „Sollten die Roten Khmer Phnom Penh auch nur einzuschließen drohen, bricht in der Stadt die totale Panik aus.“

Einige europäische Diplomaten drängen nach der gescheiterten Pariser Konferenz den UN-Sicherheitsrat, Gespräche und damit eine diplomatische Lösung wieder in Gang zu bringen. Aber solange die Roten Khmer eben dort über einen Sitz verfügen, hat eine solche Initiative nur wenig Aussicht auf Erfolg. Sie werden jede Initiative, die auf Anerkennung der Regierung Hun Sen in Phnom Penh hinausläuft, blockieren. Der dringend erforderliche Besuch eines UN -Beauftragten - der erste nach zwei Jahren - wurde zu Beginn des Jahres im letzten Moment auf Einspruch der USA gekippt. Schließlich wurde der Bericht von Bangkok aus geschrieben.

„Zynisches Politspiel“

Trotz aller Anstrengungen der Regierung Hun Sen, an denen viele internationale, nicht-regierungsgebundene Organisationen mitwirkten, bleibt Kambodscha ökonomisch unterentwickelt und seine Bevölkerung leidet Mangel. Die Kindersterblichkeit zählt zu einer der weltweit höchsten: Eines von fünf Kindern stirbt an vermeidbaren Erkrankungen wie Masern oder Durchfall. Phnom Penh ist eine Stadt der Hausbesetzer, eine halbe Millionen Menschen, ohne Strom, Wasser oder sanitärer Versorgung. In den Krankenhäusern fehlt es an Medikamenten und in den Schulen an Lehrkräften und Büchern.

„Szenen, die ich vor zehn Jahren vorfand, sind noch immer die gleichen“, sagt John Pilger. „Wir besuchten sieben Hospitäler, die Menschen leiden noch immer an vermeidbaren Seuchen wie Malaria. Die von Pol Pot verursachte Verwüstung tritt noch immer offen zutage.“ Was jetzt notwendig ist, ist eine großangelegte multilaterale Regierungshilfe, die Kambodscha zehn Jahre lang vorenthalten wurde, weil es China und dem Westen gefiel, „Vietnam mit dem kambodschanischen Schlachtfeld auszubluten“.

„Kambodscha ist mit internationaler Hilfe ausgehungert und von dem Rest der Welt politisch isoliert worden - wegen seiner politischen Beziehungen zu Vietnam. Noch immer wird das kambodschanische Volk dafür gestraft, daß ihm die Vietnamesen zu Hilfe kamen, während die mörderischen Khmer Rouge ökonomische sowie militärische Hilfe erhalten - ein zynisches Spiel.“ China und die USA sehen bei einer Verlängerung des bewaffneten Konflikts ihren eigenen Vorteil. Trotz des vietnamesischen Truppenabzugs hat China seinen Waffennachschub für seinen Schützling, die Roten Khmer, erneuert. Mit Zustimmung des Kongresses haben die USA die militärische Hilfe an die antikommunistischen Kräfte Sihanouks aufgestockt.

Wie ein Mitarbeiter des Außenministeriums betonte, soll dies dazu beitragen, „den Friedensprozeß zu beschleunigen“. Wenn Mitte November in der UNO-Generalversammlung erneut über Kambodscha verhandelt wird, hat die Welt einmal mehr die Chance, die Roten Khmer zu isolieren. Sie wird Gelegenheit haben, ihren Abscheu für Pol Pot zu demonstrieren, indem sie der von den Roten Khmer dominierten Widerstandskoalition den Stuhl entzieht. Angesichts des vietnamesischen Truppenabzuges scheuen einige europäische Regierungen einschließlich der BRD die US-Strategie, die auf nichts anderes als eine Unterstützung der Roten Khmer hinausläuft, blind Folge zu leisten.

Larry Jagan