FIRST-CLASS-KIEZ-KUNST

■ Die Montmartrisierung des Alltags als gesunde Geschäftsidee

Als sich eine langjährige Freundin vor einigen Jahren durch den Erwerb von 160 Quadratmetern Wohnraumeigentum aktiv am soziostrukturellen Wandel der Hektorstraße in Berlin -Halensee beteiligte und dies für mich kein Grund war, die Besuche ihres Einpersonenhaushalts auszusetzen, konnte ich aus nächster Nähe Zeuge der Transformation einer Gebrauchsstraße in ein lebensqualitativ hochwertiges Wohnumfeld werden.

Qualität verspricht Dauer

Herr P. hat eine gut dotierte Position in der Abteilung Marketing eines Westberliner Farbenherstellers. Herr G. ist Spezialist für Auslandsinvestitionen eines Elektrokonzerns. Im Moment befinden sich Herr P. und Herr G. auf den Knien. Sie prüfen die Qualität einer Teppichbodenprobe auf Abrieb.

Am Tisch sitzen Frau P. und Frau G. und erörtern mit Frau W. die Teppichbodenfarbe. Frau W. plädiert für Zyklamrot, aber nur unter der Bedingung, daß der Teppichboden auch in den Aufgängen des Hinterhauses verlegt wird. Frau W. hat Vermögen und leistet es sich, sozial zu sein. Ihr Treppenaufgang liegt im Vorderhaus und hat einen Fahrstuhl.

Frau D. schenkt Sekt nach. Sie ist heute die Gastgeberin. Turnusmäßig. Zusammen mit ihrem Lebensgefährten, Herrn B., ist sie der Meinung, ein Teppich müsse nicht unbedingt sein. Auf jeden Fall nicht für hinten. Frau D. und Herr B. unterrichten beide an einem Gymnasium.

Herr P. und Herr G. reiben immer noch mit dem Handballen auf dem Teppichstück herum. Hausverwalter Q. berichtet vom bevorstehenden Besuch seiner Mutter, „die jetzt nach dem Tode ihres Mannes auch nicht so recht weiß, wohin. Und da ist es ja ganz schön, wenn man sich etwas um die alte Dame kümmert.“ Herr Q. besitzt im Hause drei Wohnungen und vertritt weitere sechs Eigentümer. Die wohnen in Westdeutschland und haben ihr Hinterhaus-Eigentum vermietet. Herr Q. ist um die 40 plus. In etwa dem gleichen Alter, wie alle anderen Teilnehmer der Versammlung.

Herr P. und Herr G. erheben sich leicht erhitzt. „Wir denken, die Qualität verspricht Dauer“, sagt Herr P.

Mein schönes Heim

Die Hektorstraße ist eine Seitenstraße am oberen Ende des Kurfürstendamms. Da es sich somit um eine bessere Wohnlage mit repräsentativer Altbausubstanz handelt, wurde im Laufe der letzten Jahre der Privatbesitz an Wohnraum einer gewissen Demokratisierung unterzogen. Das heißt bestehendes Immobilieneigentum wurde in Eigentumswohnungen parzelliert, was eine beschleunigte Umschichtung der Vorderhausbewohner nach sich zog. Konkret sieht das so aus, daß ehemalige Mieter aus- und die neuen Eigentümer einziehen.

Das produziert unter anderem ein Mehr an Nachbarschaft. Wo früher Mieter ihre monatlichen Zahlungen an einen meist unbekannten Hausbesitzer oder an eine unpersönliche Hausverwaltung leisteten, finden heute Eigentümerversammlungen statt. Diese Entanonymisierung zwischenmenschlicher Verhältnisse schafft ein Wir-und-unser -Haus-Einverständnis, welches sich im Hang zum Schönen Bahn bricht: Treppen werden mit Teppichböden ausgeschlagen, Hausfassaden mit sicherem Farbgeschmack abgesetzt, Blumenschalen auf Eingangssockeln positioniert, Eingänge stilvoll beleuchtet, Vorgartenbepflanzungen und Hofbegrünungen angelegt.

Die, die Lebensart in solch schlafwandlerischer Selbstverständlichkeit durchsetzen, tragen am Wochenende die etwas teurere Freizeitkleidung und lassen Tafelwein und Mineralwasserflaschen vom Händler liefern. Am Samstag besuchen sie ihren Weinhändler mit einem Weidenkorb, um sich zwei oder drei Flaschen vom etwas besseren Tropfen empfehlen zu lassen. Anschließend wählen sie beim Gemüsehändler ihres Quartiers - so nennen diese Bewohner ihre Gegend - die frische Ware aus, kaufen ein Brot und Honig im Reformhaus, Faßbutter, Creme Double und den Chevre im Molkereifachgeschäft. Fleisch selten. Und wenn, dann Rind (gut abgehangen) oder Lamm (kleine Schäferei in Friesland). Ist der Korb gefüllt, lassen sie sich von einer Floristin noch einen malerischen Blumenstrauß zusammenstellen.

Und so steht dann das Ehepaar P. mit Weidenkorb und Blumenstrauß auf der Hektorstraße im Gespräch mit dem Ehepaar G. Die haben ihren Einkauf schon erledigt und sind auf dem Weg zu einem Flohmarkt. Den hat ein Bekannter organisiert. Für einen guten Zweck. Und so deutet Herr G. auf die Stehlampe, die zwischen ihm und seiner Frau steht. Die Stehlampe ist die futuristische Variante eines Freischwingers. In Chrom und kaum vier Jahre alt. Vielleicht eine Designerlampe aus der Prä-Halogen-Ära. Herr G. sagt: „So etwas kann man doch nicht wegwerfen. Das wäre doch zu schade.“ Seine Frau weiß schon weiter: „Und davon gehen wir dann schön essen.“

Handelsklasse Nachbarschaft

Natürlich ist das nicht das komplette Bild der Hektorstraße. Es ist reicher. Durch die Hinterhäuser. Mitunter bocken deren Bewohner am Wochenende zwischen den gepflegten Großhubräumern auf offener Straße ihren VW-Golf auf, um das Getriebe zu wechseln. Das Geräusch der Chrom-Vanadium -Schraubenschlüssel ist dann bis in die dritte Etage zu hören. Bei geöffnetem Fenster - im Vorderhaus. Ebenso wie die Stimmen der Portiersfrauen, die sich quer über die Straße, von Bürgersteig zu Bürgersteig, über etwas Dramatisches unterhalten.

Oder das Geräusch der Black&Decker-Handkreissäge, mit der ein Hinterhausbewohner - denn von dort kommt das Stromkabel

-die unbrauchbaren Holzreste eines Dachwohnungsausbaus zersägt. Neben sich hat er zwei Flaschen Kindl-Einweg stehen. Für die Pausen. Daraus ergeben sich akustisch untermalte Gemäldevisionen: Jetzt sägt er, jetzt trinkt er. Aber hatte mir nicht jüngst meine Freundin von dem erfolgten Anschluß an das Fernheizungssystem erzählt?

Es gibt also viele Bilder von der Hektorstraße. Und sie gehen schließlich im Klischee baden. Oder müssen baden gehen. Denn der rückhaltlosen Begrüßung entanonymisierender Initiativen von Nachbarschaft stehen im Großstadtbereich nur wenige Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Daß jeder ambitionierte Eckkneipier im Sommer Tische und Stühle auf die Straße stellt, im nachbarschaftlich orientierten Kiez das alljährliche Straßenfest zum must geworden ist, daß um die gruppengärtnerische Gestaltung ungenutzter Industrie und Transportbrachen ebenso liebevoll beratschlagt, wie über die Einhaltung nachbarschaftlich verabredeter Bewässerungspflichten des Straßenbaumbestandes gewacht wird, ist nicht nur von Zehlendorf bis zum Wedding, sondern auch von Neukölln bis Spandau augenfällig. Nachbarschaft ist modern. Sie wird nur, je nach Einkommensklasse, unterschiedlich in Szene gesetzt. Meist jedoch malerisch.

Das gelebte Schöne

Bei gegebenem Anlaß dokumentiert sich dieses Schöne mit Hilfe von Autofocus-Spiegelreflex-Kameras, Super-8 -Filmmaschinen oder Camcorders. Selten jedoch durch richtige Maler.

Um so größer war meine Überraschung, als ich an einem ganz gewöhnlichen Mittwoch auf dem Bürgersteig der Hektorstraße einen Straßenmaler vor seiner Staffelei sitzen sah.

Zugegeben: die herbstliche Mittagssonne illuminierte die sterbenden Lindenblätter geradezu spektakulär. Auch waren inzwischen fast alle Fassadengerüste, Schuttcontainer und Bauwagen entfernt worden. Noch dazu stand Hauswart Maschewski auf einer kurzen Leiter, um das mauerkletternde Efeu auf Armreichweite zu stutzen. Und obendrein mußte wohl vor kurzer Zeit eine Mutter mit ihrem Nachwuchs durch das Bild gelaufen sein. Denn der Straßenmaler unter seinem aufgespannten Camel-Schirm - es war irrtümlich Regen angekündigt - pointillierte in akkuratester Kurzstrichtechnik die Details eines Kinderwagens. Verwundert und schweigend schaute ich diesem verirrten Montmartre -Künstler eine Weile zu.

Am nächsten Tag versperrte der Maler mit Schirm und Staffelei erneut den halben Bürgersteig. Der Kinderwagen war inzwischen fertiggestellt. Neu auf dem Bild waren zwei Männer - offensichtlich im Gespräch, von denen der eine jenen besagten Weideneinkaufskorb in der Hand hielt.

Einen Tag später standen Staffelei und Schirm dann im Hausflur. Und der Maler, ein gewisser Romuald, saß bei meiner Freundin in der Wohnung. Zusammen mit der Nachbarin Frau P. hatten sie bereits die happy hour eingeläutet, die hier heure bleue genannt wird. Jedenfalls saßen sie da und plauderten beim Champagner. In französischer Sprache. Die Nachbarin sagte ein ums andere Mal „magnifique“, und ich sagte gar nichts.

Ich verstand so viel, daß der Maler aus Polen kommt und eigentlich ganz andere Bilder als die auf der Straße malt. Die Straßenmalerei mache er in Zusammenhang mit der Galerie, die auch seine anderen, die richtigen Bilder ausstelle. Wie richtige Bilder, Galerie und Straßenmalerei zusammenhängen, das konnte er bei der dritten Flasche feinperligen Alkohols nicht mehr erklären. Neo-Impressionismus und die katastrophale Versorgungslage auf dem polnischen Ölfarbenmarkt lagen ihm näher.

Katalysatorische Freude

„Natürlich ist das nur Simulation, nur Zitat, nur Inszenierung von Öffentlichkeit, wozu wir unseren kleinen Teil beitragen. Aber vielleicht entwickelt die Simulation ja auch eine Kraft des Faktischen. Wir sind da recht optimistisch, daß am Ende wahr ist, was da als Wahrheit geglaubt wird.“ Sie ist eine Dame, die Galeristin. Gepflegte Sprache, gepflegte Kleidung - Ton in Ton mit ihrer Galerie „En route“ zwischen Kurfürstendamm und Lietzenburger Straße, Nähe Olivaer Platz.

An den Wänden hängt Öl im Rahmen. Viele Produkte der Straßenmalerei werden feilgeboten, aber auch Porträts und Naturlandschaften in der Preisklasse 3.000 bis 7.500 DM. Solides Handwerk im neo-impressionistischen Stil. Selbstverständlich halte ich schon wieder ein Glas Sekt in der Hand. Ich hatte aus meiner Begeisterung für ihre Straßenmalerei-Idee keinen Hehl gemacht und lediglich nach den Hintergründen ihrer Überlegung gefragt.

„Sehen Sie“, nimmt sie ihren kleinen Vortrag wieder auf, „wir haben es mit einer Schicht zu tun, die meint, auf einen Ort intensiver Kommunikation angewiesen zu sein, für die also das Einfamilienhaus mit Garten an Attraktivität und Notwendigkeit verloren hat. Eine Schicht, die zunächst aus der einfachen Addition sich ökonomisch unabhängig wähnender Ein- oder Zweipersonenhaushalte besteht. Kaufkräftig, steuerzahlend, gut ausgebildet. Mehr oder weniger eine Schicht, die im soziokulturellen Modernisierungsprozeß ziemlich weit oben schwimmt, weil sie sich dem sozioökonomischen Modernisierungsprozeß anpassen konnte...“

„Sie meinen doch nicht etwa die Generation der '68er?“, unterbreche ich ihren Redefluß.

„Doch, genau die meine ich, wobei man auch deren konservative Variante, die sich für eine sozial gerechte und ausgeglichene Gesellschaft einsetzt, hinzuzählen muß. Politologische Analysen zeigen, daß die konservativen Denkfabriken der CDU zum Beispiel sich gegen Einflüsse aus der '68er-Bewegung nicht abschotten konnten, beziehungsweise dies auch gar nicht wollten.“

Plötzlich sehe ich Herrn P., Herrn G. und Frau W. in einem ganz anderen Licht. Als Alt-'68er. Nicht mehr ganz ideologiestandfest, aber dafür mit einem Bein inmitten harter Realität. Mit dem anderen im Sinn fürs Schöne.

„In ihrer Vorstellung von dem, was gutes Leben bedeutet, verhält sich diese Schicht recht signifikant. Urlaub, Kleidung, Wohnungsrichtung, Eßkultur, Katalysator auf sechs Zylindern, freudige Konsumbewußtheit, Kunst. Ambiente insgesamt. Das ist die Schicht, die diesen Prozeß der Gentrifikation betreibt. So wird heute die Eroberung innenstadtnaher Altbaubezirke durch die Besserverdienenden genannt. Sie können das auch alles viel besser bei Enzensberger Mittelmaß und Wahn oder Thomas Krämer -Badoni Eine Generation greift zu nachlesen.“

Um ihrem Redefluß die letzten Schleusen zu öffnen, erzähle ich von meinem bildschirmverursachten Augenleiden, welches mir nur ein halbes Stündchen Lektüre täglich gestattet. Darüber hinaus drücke ich mein Erstaunen über ihre sichere Kenntnis der Hektorstraßen-Sozialstruktur aus.

Und die Schleusen öffnen sich. Sie erzählt mir von Nietzsches Augenleiden und seiner Schreibmaschine und daß sie Politologie und Soziologie diplomiert abgeschlossen hat, und zwar mit einer Diplomarbeit über die Migrationsbewegung in der Kurfürstendamm-Gegend. Schließlich kommt die Geschichte, wie alles anfing.

Überlebenshilfe Habermas

„Also, mein Mann ist Immobilienhändler“, sagt sie, und ich höre mein Autoradio, wie es kurz vor den Nachrichten sagt: „Also mein Chef, der ist Anwalt...“, um mir auf diesem Wege eine Rechtsschutzversicherung zu verkaufen. Dabei wird die Galeristin vor meinen Augen einen Moment lang sehr häßlich. Bis ich ihrer Rede wieder folgen kann: “... wobei sich die Immobilienpreissituation vor vier Jahren eben sehr viel weniger dynamisch gestaltete als heute. Es war nun eben die Frage, wie verkaufen wir die große Anzahl von Wohnungsobjekten in dieser Straße. Und da kam ich auf die Idee mit dem Straßenmaler. Ein Bekannter, längstjähriger Kunststudent, war uns damals behilflich. Er stellte sich mit seiner Staffelei auf die Straße. Besonders zu Besichtigungsterminen, aber auch in der Woche bei schönem Wetter. Beiläufig begann mein Mann dann in Gegenwart der Interessenten ein Gespräch mit dem Maler. Und der erklärte aus seiner künstlerischen Sicht die Straße, das Licht, die Häuser, Fenster, Türen. Und die Bäume. Und das half irgendwie. Die Existenz des Malers, der künstlerische Blick, hat alles aufgewertet. Die Objekte wurden gut verkauft.“

Wir heben die Gläser, nicken uns zu, ich sage „wunderbar“, und sie fährt fort: „Als Strategie zum Verkauf von Immobilien haben wir diesen Trick danach nicht mehr eingesetzt. Das Geschäft ging auch so recht gut. Ich habe aus dieser Erfahrung heraus eine Galerie eröffnet. Zielgruppe: prosperierender Besitzstand. Ansprechmodus: modern-konservativ, Prägedruckeinladung, Vierfarbtiefdruck -Katalog. Es war das Berlin-übliche Desaster: Eheman finanziert Ehefrau Frisiersalon, Kosmetikpraxis, Boutique in meinem Fall eine Galerie. Die Menschen lächelten schon, wenn ich sagte, ich sei Galeristin.“

„Wie mutig. Eine Galerie in Berlin. Wo doch das Geld hier so spärlich fließt“, assistiere ich ihr.

„Genau. Und dann kam ich auf diese Straßenmalergeschichte zurück. Auf dieses kommunikative Moment. Nur mit anderem Vorzeichen. Die Menschen haben sich bereits ihr Wohnungseigentum gekauft und brauchen jetzt die Bestätigung, daß es eine wunderbare Entscheidung war. Die gleiche Bestätigung, die sie sich sonst über Tafelsilber, Champagnermarken oder Lichtbildervorträge einfahren möchten. Irgendwie mußte ich sie genau in dieser Eitelkeit ansprechen. Direkt.“

Ich konnte zwar die Lichtbildervorträge in diesem Zusammenhang nicht einordnen, mochte aber auch die Entblößung einer gesunden Geschäftsidee nicht unterbrechen.

„Also gab ich eine Annonce auf. 'Biete Beschäftigungsmöglichkeit für experimentierfreudigen, aufgeschlossenen, gesunden Kunstmaler. Solide Ausbildung Voraussetzung.‘ Was kam, waren HdK-Studenten, die seit dem Gymnasium nicht viel dazugelernt hatten. Kurzum, mit zweien habe ich es probiert. Vor einem halben Jahr. Am Anfang war die Zusammenarbeit recht gut. Dann kam ich auf polnische Maler. Mit guten Deutsch- und Französischkenntnissen. Die bringen sehr viel mehr Ausdauer mit. Seit ein paar Tagen habe ich einen DDR-Maler eingestellt. Hervorragende handwerkliche Ausbildung. Ob sich das von der Ansprache her länger trägt, weiß ich noch nicht. Man muß die Stimmung in der Bevölkerung genau beobachten.“

Ich versuche, sie aus ihren zerfließenden Stakkato -Überlegungen herauszureißen. „Also sind Sie mit dem Konzept erfolgreich? Wie funktioniert der Geschäftsmodus nun genau?“

Lizensierte Initiationsaktien

„Der Maler ist das Medium“, erklärt sie mir, während sie sich rückwärts zum Kühlschrank bewegt. „Über ihn wird Kontakt gemacht. Er malt und malt. Bis mit den Straßenbewohnern ein Gespräch zustandekommt. Der Maler bekommt von mir ein Grundhonorar. Darüber hinaus makel ich alle seine Bilder für einen festgelegten Zeitraum. Die Straßenbilder sind nur der Auslöser. Selbstverständlich werden auch andere Sujets angeboten. In der Galerie. Dorthin soll der Kunde gebracht werden, um zu sehen, daß das nicht nur irgendein Straßenbild ist, sondern Kunst, die aufgebaut wird, also ihren berechtigten Preis hat.“

Das Entkorken der Flasche übernehme ich, während sie in die Prozente geht: „Der interessierte Kunde kann nun entweder direkt in der Galerie kaufen oder mit dem Maler um das Bild auf der Staffelei handeln. Der Maler läßt dann bis zu 20 Prozent vom Galeriepreis nach und teilt mir den Verkauf mit, indem er mit die Kaufsumme übergibt. Ich zahle ihm dann denselben Prozentsatz, den er auch beim Verkauf in der Galerie erhalten hätte. In der Regel kommen diese Geschäfte selten zustande. Das Klientel will mehr als Sraßenszenen. Man hängt sich doch lieber etwas Besonderes an die Wände, wenn das Einkaufsprocedere stimmt. Und dafür veranstalten wir dann Vernissagen für die jeweilige Straße in der Galerie. Das heißt der Straßenmaler stellt seine Bilder hier in der Galerie aus und überreicht den Bewohnern, mit denen er in Kontakt gekommen ist, ein persönliches Einladungsschreiben. Ich meinerseits verschicke handverlesene Einladungen mithilfe von Grundbuchauszügen, also an alle EigentumswohnungsbesitzerInnen. Diese Veranstaltungen waren bisher immer ein wunderbarer Erfolg. Was dem einen sein Straßenfest, ist dem anderen seine closed circle-Vernissage. Sie sollten unsere Hektorstraßen -Vernis‘ unbedingt besuchen.“

Ich verweise wieder auf mein Augenleiden, das mir eine längere visuelle Konsumption hängender Kunst bedauerlicherweise untersagt. „Aber das macht doch nichts. Dann kaufen Sie sich einen Kunst-Optionsschein. Entweder auf ein bereits existierendes Gemälde oder auf ein Bild, das in den nächsten Jahren in einem genau festgelegten Format, in genau festgelegter Qualität gemalt werden wird. Wenn Sie zum Beispiel 50 Prozent von einem Bild kaufen, das heute 5.000 Mark kostet, und ich dieses Bild in einem Jahr für 9.000 Mark verkaufe, dann haben Sie... Gar nicht zu reden von Ihrem Gewinn, wenn der Maler dann berühmt ist und Ihnen die Option realisieren muß...“

Auf der Vernissage traf ich den die P.s und die G.s, Herrn Q. und Frau W. Auch den Weinhändler, den Gemüseverkäufer, die Floristin. Und viele andere, die ich vom Sehen her kannte. Aus der Hektorstraße. Genaueres kann ich nicht berichten, da ich mich rasch und intensiv den Erfrischungsgetränken zuwandte. Nur, daß meine Freundin immer noch kein Bild hängen hat. Dafür liegen jetzt einige neue Optionsscheine in ihrem Banksafe.

A.Modern/O.W.Lieb