: DER UNERHÖRTE TON
■ Die „Woche des Hörspiels 3“
In der Akademie der Künste werden diese Woche allabendlich neue Hörspielproduktionen der verschiedenen Hörspielabteilungen der ARD präsentiert. Die Veranstaltung richtet sich gegen den privaten Charakter der Hörspielrezeption; man will Öffentlichkeit, direkte Publikumsreaktionen, weshalb die Jury, die am Samstag den Lautsprecher-Preis zu vergeben hat, aus dem Publikum ausgewählt wurde.
Es setzte mit einem provokativen Auftakt ein: mit Heiner Goebbels‘ musikalischer Bearbeitung von Heiner Müllers Wolokolamsker Chaussee. Zur Verdeutlichung des Lehrstückcharakters der Müllerschen Texte hat Heiner Goebbels fertige Klangmuster gewählt: „Der erste Teil wurde von der Frankfurter Speed-metal-Gruppe Megalomaniax in brummige Rockrhythmen übersetzt, Teil zwei zu countryartigen Klampfenstrichen intoniert, der dritte Teil von einem klassischen Kammerchor abgesungen, Teil vier mit Schostakowitschs Leningrader Sinfonie unterlegt und Teil fünf in die flotten Rockmelodien der Hip-Hop-Gruppe We wear the Crown hineinrhythmisiert.
Goebbels begründete dieses Verfahren damit, daß die Realität dieser Stücke (also beispielsweise Erfahrungen sowjetischer Soldaten im Zweiten Weltkrieg, aber auch eine Selbstverbrennung auf dem Prager Wenzelsplatz '68) für uns so „abstrakt“ seien, daß die Härte des Berichteten nur über eine ähnlich gewaltsame musikalische Form nahegebracht werden könne.
Wenn es denn wenigstens hart gewesen wäre, wagte jemand zu sagen, und nicht nur albern, aufgesetzt, deplaziert. Von Schamlosigkeit wurde gesprochen, mit der das Müllersche Textmaterial in diese Tonklischees gepreßt worden sei, von Verhöhnung der inneren Tragik der Texte; dem wurde eine heilsame Entpathetisierung durch die Musik und eine erlaubte Inkongruenz der beiden Rezeptionsebenen gegenüber gestellt.
Nachdem man sich so am ersten Abend an der Unerhörtheit dieser Vertonungen heißgelaufen hatte, saß man fortan eher stumm vor den moderaten Novitäten: einem Telefonduett des Autors Anthony Minghella, Eingehängt, einer Beziehungskiste, die auch in diesem Fall viel mit „Ziehen“ zu tun hatte: Sie wollen einander, aber sie können zusammen nicht kommen, weil er eine Freundin Susie und sie einen anderen bei sich zu Hause hat.
Ebenso vor dem lyrisch-expressiven X-tett von Edwin Ortmann, Essen oder gegessen werden: Zwei Frauen ganz in Weiß ineinanderverwobene innere Monologe eines Kriegsinvaliden, der kleine Männchen im Kopf hat, denen er SOS zufunkt, und der an seinen schmerzenden Beinstümpfen leidet, die er Phantomsäulen nennt. In seine Phantasiewelt tritt der fünfzehnjährige Joschi als Schakal, der aus der Wüste kommt, und mit ihm entfaltet er jenes Wörter-Puzzle aus den immer gleichen Wortelementen, das den Hörer zuletzt aus dem Empfängerkanal vertreibt. Der dritte Abend war für die Frauenthemen reserviert (was auch am Publikum zu ersehen war): Valse eternelle - ein Brief nach dem Buch von Ria Endres Milena antwortet, und eine noch nicht gehörte Medea-Version.
Ersteres, von Patricia Jünger eingetont, war eine erneute Vorführung der Kontradiktion und Kontraaktion der Frau: Milena war hier nicht nur gleichzeitig von Prag nach Wien und in die Gegenrichtung unterwegs, sie mußte sich auch stimmlich ununterbrochen in die Gegenrichtung ziehen (sich vervielfältigen, würden es andere nennen), so daß kaum ein einziger Satz von ihr zu verstehen war.
Und dann die Medea-Bearbeitung von Georg Benda einer Medea -Bearbeitung von F.W. Gotter: eine „gleichwertige“ Mischung aus Barockmusik und Psychogramm einer 18.-Jahrhundert-Medea, die ihre Kindertötungsabsicht in die arretierten Musikwallungen hineinsprechen muß.
Was deutlich wurde nach den drei Abenden: Das Hörspiel kümmert sich um das Hörspiel nicht, es weiß nicht von der inneren Dynamik von Texten, von einer dialogisch -dramatischen Struktur, von konkreter Musik, von Rezeptionszwängen und so fort. Sein eigenes Territorium zu verlassen, ist ihm auch Avantgardebeweis. Und noch eines wurde deutlich: Wenn das Müller-Goebbelsche Zugpferd nicht zieht, ist es eine Veranstaltung für Insider, und das erwünschte Publikum ist nicht da.
Michaela Ott
Noch bis Samstag, jeweils 20 Uhr in der Akademie der Künste. Heute: „Wer sie sind“ von Peter Jacobi und „Frauenbad in Dieppe“ von Stefan Dähnert. Freitag: „Wenn nur das Haus nicht fällt“ von Barbara Strohschein und „Das Schweigen der Quin“ von Heidi-Maria von Plato. Samstag: „Die Nacht zum 21. Jahrhundert oder: An dem Leben eines alten Mannes“ von Raymond Federman. Um 22 Uhr die Preisverleihung.
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