Aufs Ganze gegangen

Zum Tode Margarete Buber-Neumanns  ■ N A C H R U F

Mit 88 Jahren starb sie jetzt in Frankfurt, wo sie gelebt hatte, kaum zur Kenntnis genommen. Im KZ hatte sie Milena Jesenska kennengelernt, Kafkas Freundin, über die sie ein liebevoll-trauriges Buch verfaßte.

Ihren eigenen Weg durch die gedoppelte Hölle bezeugt sie in dem Buch Als Gefangene bei Hitler und Stalin. Der Bericht, 1947 in Stockholm geschrieben, machte die Autorin in aller Welt bekannt. Nur unter den Deutschen nicht. Wer bei Stalin und Hitler eingesperrt worden war, konnte weder bei Stalinisten noch bei davongekommenen Nazis auf Interesse und Unterstützung hoffen.

Für die bundesdeutsche Linke blieb Buber-Neumann lebenslänglich indiskutabel. Dafür war ihr Lebenslauf zu fundamental-kontrovers: geboren als Unternehmertochter in Potsdam, als Studentin Mitglied einer sozialistischen Jugendgruppe, mit 25 Jahren KPD-Eintritt und elf Jahre lang gläubige Genossin, eingeschlossen das Opfer des Intellekts. 1931 sah sie als Delegierte die triste Wirklichkeit Moskaus und schönte danach, zurückgekehrt, ihre Eindrücke, was sie lebenslang bitter bereute.

Ihr Ehemann, Heinz Neumann, 1931 „politischer Abweichung“ wegen aus der KPD-Führung entfernt, seit 1935 in Moskau für die Komintern arbeitend, fiel bei Stalin in Ungnade, wurde 1937 verhaftet und verschwand spurlos. Sie selbst war ein Jahr später dran. Im Frühjahr 1940 übergab die NKWD Margarete Buber-Neumann und andere in Brest-Litowsk der SS. So trug der Stalin-Hitler-Pakt bittere Früchte. Auf die zwei Jahre im sibirischen Arbeitslager folgten fünf Jahre Nazi -KZ, bis zum Kriegsende.

Ich fand bei Buber-Neumann die gleichen Symptome (oder sollte ich sagen: Syndrome?) wie bei Arthur Koestler und Manes Sperber, ein erschüttertes Urvertrauen, keine beruhigende, Gewißheit verschaffende Antwort auf die Frage: Wie konnte es geschehen - was waren die Gründe für meine frühere gläubige Blindheit?

Ich lernte Buber-Neumann 1961 in Köln kennen, als der eben der DDR entronnene Ernst Bloch erstmals im Westen öffentlich auftrat, was er, obwohl von der Geschichte und der SED disqualifiziert, verketzert, dementiert, mit nitzscheanischer Eloquenz tat, ein sichtbar zur Schau sich tragender Optimist mit Trauerflor - dagegen kamen mir Buber -Neumann und der aus Paris angereiste Manes Sperber wie echte Schopenhauerianer vor: melancholische, von Niederlagen gezeichnete Naturen.

Kein Wunder, daß die Linken mit Buber-Neumann nichts anzufangen wußten. Wer Ahnungsvermögen besaß, durfte sein eigenes Ungeschick in ihr vorausahnen. Wer brachialer strukturiert war, tat die Exgenossin als rechte Antikommunistin ab.

Sie tat ihren Feinden den Gefallen, ging aufs Ganze und engagierte sich als Wahlhelferin des FJS. Da triumphierten die Genossen, die Strauß-Nähe enthob der Verlegenheit, die Situation analysieren zu müssen.

Margarete wurde auch rechts nicht heimisch. Keiner der Ehemaligen wurde das, von William S. Schlamm abgesehen, denn die Quelle der Unruhe versiegte nie. Exkommunisten bedauern ihre vormalige Glaubenskraft Blindheit und müssen doch zugeben, daß die Gründe, die sie vormals in die Partei trieben, fortbestehen.

So wurden die großen ExkommunistInnen rechts nicht heimisch, weil sie einst aus guten Gründen zur Partei gefunden hatten, und links nicht, weil sie aus nicht weniger guten Gründen abgefallen waren. In diesem doppelten Schisma lebend, verurteilten sie sich zur doppelten Isolation. Ein jeder versuchte schreibend daraus zu entkommen, und mit jedem neuen Buch schien der Ausbruch zu glücken. Danach erwies sich der Kerker nur als perfekter.

Die Massen, die heute die DDR fluchtartig verlassen, geben dem Sozialismus keine Chance mehr. Sie sehen schwarz wie vor ihnen Buber-Neumann, Manes Sperber, Arthur Koestler. Die andern, die zurückbleibend sich engagieren, wollen Veränderungen bewirken. Ob sie wie die alte Garde von Trotzki bis Bloch noch an irgendeinen Sozialismus glauben oder an die Ostverschiebung der bundesdeutschen Marktherrschaft, mag dahinstehen.

Schlimmstenfalls werden sie eine Militärdiktatur ernten. Dann gute Nacht, Genossin Perestroika, Schwester der Margarete Buber-Neumann, soeben verstorben.

Gerhard Zwerenz