Bauchlandung für Gen-Tech

■ Hessischer Verwaltungsgerichtshof stoppt gentechnische Insulinproduktion bei Hoechst

Berlin (taz) - Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat den Gentechnologen der Bundesrepublik ihren bisher schwersten Rückschlag beschert. Mit einer Eilentscheidung bereitete das Gericht gestern der vom Frankfurter Pharmamulti Hoechst seit 1985 vorbereiteten gentechnischen Produktion von Humaninsulin ein vorläufiges Ende. „Solange der Gesetzgeber die Nutzung der Gentechnologie nicht ausdrücklich zuläßt, dürfen gentechnische Anlagen - unabhängig von der Bewertung ihrer Gefährlichkeit im Einzelfall - nicht errichtet und betrieben werden“, lautet der zentrale Satz in der Begründung des Beschlusses, der nur mit einer Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht anfechtbar ist.

Damit kommt dem Beschluß bundesweite Bedeutung zu. Hessens Ministerpräsident Walter Wallmann (CDU) sah gestern gar „den gesamten Industriestandort Bundesrepublik“ betroffen, forderte hektisch, das gegenwärtig in Bonn diskutierte umstrittene Bundes-Gentechnikgesetz „so schnell wie möglich zu verabschieden“ und leitete die Entscheidung an den Bundeskanzler weiter. Nach Auffassung des Wiesbadener Umweltministers Karlheinz Weimar macht das Urteil alle gegenwärtig nach dem Bundesimmissionsschutz- oder nach anderen geltenden Gesetzen betriebenen Genehmigungsverfahren zunichte. In Hessen habe das Konsequenzen auch für den von den Marburger Behringwerken, einem Hoechst -Tochterunternehmen, beantragten Einstieg in die gentechnisch-pharmazeutische Produktion. „Das können wir nicht genehmigen“, sagte Weimars Sprecherin Annette Großbongart. Hoechst kündigte unmittelbar nach Bekanntwerden des Beschlusses an, die Bauarbeiten an der Anlage einzustellen. „Mit großer Sorge“ sehe man nun der Zukunft einer industriellen Nutzung der Gentechnik in der Bundes Fortsetzung auf Seite 2

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republik entgegen, hieß es in einer Erklärung. 1985 und 1987 hatte der Regierungspräsident in Darmstadt Hoechst die Genehmigung für die Anlage erteilt, in der mit Hilfe gentechnisch veränderter Bakterien Humaninsulin produziert werden werden soll. Hiergegen waren etwa 350 Einsprüche erhoben worden, die bereits einmal zur Unterbrechung der Bautätigkeit führten, bevor der Regierungspräsident den Baustopp mit dem Segen von Umweltminister Weimar wieder aufhob. Ein Apotheker und ein Chemielaborant trugen die Klage schließlich bis vor das höchste hessische Verwaltungsgericht.

Die Richter betonen in ihrem Urteil, daß „allein der Gesetzgeber zu entscheiden“ habe, ob die Gentechnologie im industriellen Maßstab genutzt werden dürfe. Die bestehenden Gesetze „bildeten angesichts der ganz anderen Dimension und

Qualität der mit der Gentechnologie neben ihrem Nutzen verbundenen Risiken keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Erteilung der in Rede stehenden Genehmigung“.

Die hessischen Grünen begrüßten das Urteil, mit dem die grundsätzliche Kritik der Einwender an den bisherigen Genehmigungsverfahren bestätigt werde. Bei aller Freude über das Urteil hege man die Befürchtung, daß als Folge des Urteils in Bonn „hektische Betriebsamkeit“ für ein Gentechnologiegesetz einsetze, um „den Betreibern alle Steine aus dem Weg zu räumen“. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Catenhusen sagte, die Entscheidung dokumentiere nachdrücklich, daß das jahrelange Hinziehen bei der Vorbereitung eines Gentechnik-Gesetzes sich jetzt bitter räche.

Offensichtlich zufrieden reagierte das Bundesgesundheitsamt (BGA) in Berlin auf die Kasseler Entscheidung. „Das Urteil unterstützt den Wunsch des BGA, in diesem Rechtsgebiet zu einer gesetzlichen Regelung zu kommen“, sagte BGA-Sprecher Henning gegenüber der taz. Ob in den etwa 800 existierenden Genlabors weitergearbeitet werden dürfe, müsse nach Vorliegen der Urteilsgründe von den zuständigen Behörden beurteilt werden. Ganz schwarz sehen zwei der führenden Diabetologen in der Bundesrepublik, die Professoren Hellmut Mehnert und Arnold Gries. Mit dem Urteil werde „auf einem Gebiet mit großem internationalen Wettbewerb in Deutschland eine ganze Forschungsrichtung auf Eis gelegt“.

Gerd Rosenkranz