Zivilschutz-Bunker werden bezogen

■ Krisenstab stellte erste Liste von Notunterkünften vor / Probleme nur katastrophenmäßig zu lösen

„Die Probleme sind nur noch mit katastrophenmäßigen Maßnahmen zu lösen“, erklärten Sozialsenator Scherf und sein Senatsdirektor Hoppensack gestern. Dabei rücken die Bremer Krisenmanager auch zu Tabuzonen vor: Bunker werden bezogen, Kasernen geräumt. Modernisierungsprogramme für die Verwaltung werden vorerst zurückgestellt. Selbst die erkämpften ökologischen Vorstellungen müßten zurückstehen vor der Katastrophe, die das Bewußtsein „der Menschen vor Ort noch nicht erreicht hat“ und doch kurz- wie langfristig bewältigt werden muß, meinen Scherf und Hoppensack.

Alarmiert von den hochschnellenden Flüchtlingszahlen hatte unter der Leitung von Senatsdirektor Hoppensack der Krisenstab „zur Versorgung von Aus-und Übersiedlern“ dem Bundesinnenministerium am Wochenende signalisiert: „Nichts geht mehr. Wir brauchen Zeit, um längerfristige Perspektiven zu beraten.“ Angegriffen von der CDU und deren Folgeeinrichtungen hatte Bremen drei Tage lang den Aufnahmestop erklärt. Übernächtigt saßen Scherf, Hoppensack und Pressesprecher Alfke dann gestern morgen mit ersten Ergebnissen den zahlreich wie nie versammelten MedienvertreterInnen gegenüber.

Hochrechnungen, die auf reinen Spekulationen beruhen und von weiteren 1,5 Millionen Übersiedlern aus der DDR ausgehen, lassen für das Land Bremen bis Ende 1990 bis zu 18.000 Neuzugänge erwarten. In einer „mittleren Variante“ ging die Arbeitsgruppe für ihre Planung von

12.000 NeubürgerInnen aus. Bis Ende diesen Jahres wird noch mit 1.500 Flüchtlingen, darunter 500 Asylsuchende, gerechnet. Da bislang nur höchstens 500 Plätze zur Verfügung stehen, wurden fieberhaft Notlösungen gesucht.

„Geld spielt keine Rolle, obwohl wir keins haben“, erklärte Scherf. Die Holzhäuser, die die Bremische Gesellschaft zu bauen versprach, sollen jetzt „munter drauf los“ gebaut werden - übliche Planungsstreitereien um Radwege, betroffene Kleingartenparzellen oder ähnliches könnten nun nicht mehr ausgetragen werden. Noch in diesem jahr müßten die ersten 250 fertiggestellt werden, und in 1990 weitere 250, auf die man im Sommer noch verzichten wollte. In konventionellen Häusern, die sich die Sozialbehörde von den Wohnungsgesellschaften erhofft, könnten 2.110 Menschen unterkommen - sofern sie wie in den Übergangswohnheimen „verdichtet“ untergebracht würden. Dieses bereits geplante Bauprogramm greife jedoch erst ab Mitte 1990. 2.500 Bauanträge bis Ende 1990 liegen bereits vor (1988 waren insgesamt nur 500. Trotzdem lasse sich der „Flüchtlingsstau“ nur minimal auflösen: In der HNO-Klinik spekuliert der Krisenstab auf weitere 250, auf dem AG-Weser-Gelände auf bis zu 500 Plätze - dort zulasten des dann zurückgestellten Behörden-Raum-Konzepts. Im zur Zeit durch Sanierungsarbeiten leergeräumten Berufsbildungszentrum wurden weitere 250 Plätze ausgemacht. Zusätzliche 100 Plätze bringt die Zurückstellung des Modernisierungsvorhabens für die Bereitschaftspolizei in Huc

kelriede.

Heute werden letzte Verhandlungen über das 500 Plätze bietende leerstehende Loyd-Hotel geführt: Bremen will das Hotel kaufen, um auch hier eine längerfristige Notunterkunft an Land zu ziehen. Raus aus der Diskussion ist die Wertkauf -Lagerhalle, die mit rund drei Millionen Mark Investitionen hätte bewohnbar gemacht werden müssen, und dann für „nur“ 250 Menschen. Schiffe sind inzwischen neu ins Gespräch gekommen. Ein konkreter „Übergangslager-Dampfer“ für 500 Leute wurde gestern in der Behörde auf seine Realisierung hin geprüft. Bremer Schullandheime haben sich bereit erklärt,

ein Kontingent aufzunehmen - obwohl sie zum Großteil in Niedersachsen liegen und Pendelbusse z.B. nur bis zu einem Umkreis von 30 km Sinn machen. In die Wilhelm-Kaisen-Kaserne nach lang erkämpfter Zustimmung vom Bundesinnenministerium jetzt 200 Flüchtlinge einziehen. (Scherf: „Das reicht noch nicht einmal für die Wochenendration.“) Diskussionen um die Rote Sand-Kaserne in Bremerhaven und die Kaserne in Schwanewede sind noch nicht abgeschlossen. Sie könnten 600 Plätze bieten. „Mit Gewalt bekommen wir so rund 6.000 Plätze zusammen“, rechnete Krisenstabschef Hoppensack aus. Bei benötigten

12.000 Wohnungen (ohne die 2.000, die in Bremen schon fehlen) sind Bunker und Turnhallen nicht zu umgehen. Erste Flüchtlinge müssen schon nächste Woche damit rechnen, in Zivilschutzbunkern untergebracht zu werden, besonders wenn sie an Wochenenden eintreffen. 27.000 „Liegeplätze“ hat Bremen so zu bieten. Scherf sieht einen „gewaltigen Verteidigungskampf um liebgewordene Gewohnheiten“ stattfinden - wie er sich am Wochenende bereits angekündigt habe, als der Turnverein in Sebaldsbrück Rasenplatz und Sprunggrube vor der Bebauung mit Holzhäuschen retten wollte.

Birgitt Rambalski