Enttäuschung am runden Tisch

■ Zum ersten Mal traf sich die Kommission „Arbeitsplätze für Berlin“ / Vorgaben des Senats enttäuschten / IHK gründet Arbeitsgruppe zu DDR-Kooperation

Für die Mitglieder der Kommission „Arbeitsplätze für Berlin“ verlief das erste Treffen gestern enttäuschend. Die Gruppe, am 22. April angekündigt, vom Regierenden Bürgermeister Walter Momper zur Chefsache erklärt und mit 24 Institutionen der Stadt - von Gewerkschaften über Kammern, Arbeitgeberverbänden, Vertretern von Alternativprojekten und allen betroffenen Senatsverwaltungen - hochkarätig besetzt, hatte mehr erwartet. Nach einem halben Jahr rot-grüner Regierung wurde ihnen von Arbeitssenator Wagner und Wirtschaftssenator Mitzscherling nicht mehr als eine „Bestandsaufnahme“ der wirtschaftlichen Lage und der Arbeitsmarktpolitik geboten. Vorschläge, wie die Arbeitslosigkeit in der Stadt nachhaltig gesenkt werden kann, lagen keine vor. Und wie die 60 Millionen Mark, die laut Koalitionsvertrag für ein Programm „Arbeit und ökologischer Stadtumbau“ vorgesehen sind, verwendet werden sollen, weiß derzeit auch niemand.

Ein Thema, das alle beschäftigte, war die Veränderung in der DDR. Man müsse jetzt wieder anfangen, über Berlin so zu denken, als sei es eine Stadt mit ganz normalem Hinterland, sagte der Regierende Bürgermeister gestern. Er erinnerte an die Situation Berlins vor dem Mauerbau. Damals habe es viele Grenzgänger gegeben, Menschen, die in einem Teil der Stadt gearbeitet und im anderen gewohnt haben. So werde es nicht mehr werden, meinte Momper, die Handels- und Wirtschaftsströme liefen heute anders. Doch habe Berlin bei der gegenwärtigen Entwicklung einen enormen Standortvorteil. Die DDR habe erklärt, daß sie prinzipiell dazu bereit sei, mit dem Westen über Joint-ventures zu verhandeln.

Der Exkurs in deutsch-deutsche Zukunftsvisionen bringt den derzeit 85.000 registrierten Arbeitslosen der Stadt allerdings noch keine Erwerbstätigkeit. Arbeitssenator Wagner referierte am „runden Tisch gegen Arbeitslosigkeit“ (Momper) gestern seine Vorstellungen zur Arbeitsmarktpolitik, die er bereits am Dienstag dem Senat vorgestellt hatte. Er betonte den Zusammenhang zwischen Strukturpolitik, Qualifizierung und Beschäftigungspolitik. Wert gelegt wird auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze im Bereich des ökologischen Stadtumbaus. Spezielle Maßnahmen soll es für Langzeitarbeitslose und andere schwer vermittelbare Personengruppen geben, und auch Frauen will Wagner besonders fördern.

Diese sehr allgemein gehaltenen Zielvorstellungen ließen gestern nicht nur die Miglieder der Kommission „Arbeitsplätze für Berlin“ unzufrieden zurück. Auch in der Senatssitzung war man mit Wagner unzufrieden. Seine Vorlage falle zum Teil hinter die Koalitionsvereinbarung zurück, hieß es von seiten der AL. Ein kleines Beispiel: Frauenförderung. Die Parteien hatten vereinbart, Betrieben, die Frauenförderpläne haben, bevorzugt öffentliche Aufträge zukommen zu lassen. Davon steht kein Wort in Senator Wagners Vorlage. Sie wurde deshalb auch nicht zum Senatsbeschluß erhoben, sondern lediglich als Arbeitsgrundlage für die Kommission zur Kenntnis genommen.

Im Frühjahr treffen sich die 24 Institutionen erneut. Bis dahin sollen zwei Untergruppen konkrete Vorschläge ausarbeiten. Die Industrie und Handelskammer (IHK) hat eine Extragruppe angeregt, die die „Probleme, Chancen und Perspektiven“ der Veränderungen in der DDR auf die Berliner Wirtschaft ausloten soll.

bf