Von Auschwitz nach Israel

■ Halina Birenbaums Autobiographie „Die Hoffnung stirbt zuletzt“

Auf der diesjährigen Berlinale wurde ein Film besonders beachtet: Wegen dieses Krieges von Orna Ben-Dor Niv, einer Israelin.

Eine der HauptdarstellerInnen, Halina Birenbaum, ist nun selbst zu einer Lesereise in die Bundesrepublik gekommen. Auf der Buchmesse in Frankfurt und anschließend in zahlreichen anderen Städten stellte sie ihre 1989 ins Deutsche übersetzte Autobiographie Die Hoffnung stirbt zuletzt vor.

Beide, Buch und Film, thematisieren die Verfolgung durch den Nationalsozalismus aus zeitlich unterschiedlichen Perspektiven. Im Buch berichtet Halina Birenbaum über ihre Kindheit als Verfolgte im Dritten Reich, der Film behandelt die Auswirkungen des Holocaust auf die zweite Generation.

Halina Birenbaum hat den Tötungswahn als einzige ihrer Familie überlebt. Sie ist zehn Jahre alt, als die Deutschen 1939 in Warschau einfallen. Sie „lebt“ im Warschauer Ghetto, mehrere Jahre lang entkommt die Familie den „Aktionen“. Bei diesen kommen die Juden und Jüdinnen, zu Anfang von Hunger getrieben, durch Täuschungen und falsche Versprechen unter Mithilfe des Judenrats gelockt, freiwillig später aus Häusern, von Dachböden, aus Schränken und anderen Verstecken gezerrt, zum sogenannten „Umschlagplatz“, von wo aus sie nach Treblinka und anderen Vernichtungslagern transportiert werden. Großeltern, Tante, Onkel und deren beide Kinder sind schon nach wenigen Tagen entdeckt und werden in den Tod geschickt. Den Vater treibt man mit Schlägen in den Zugwaggon, während die Mutter mit Halina und ihrem Bruder Chilek zunächst noch fliehen können. Selbst die Vernichtung, die Ermordung und Verschleppung von mehr als 300.000 Bewohnern des Ghettos im August und September 1942 überleben sie, bis sie im Frühjahr 1943 der systematischen Verfolgung nicht mehr entgehen. Die SS spürt den Bunker auf, in dem sich drei Wochen lang ohne Nahrung, Arznei und mit einem Minimum an Sauerstoff 200 Menschen gedrängt hatten.

Sie werden in Viehwaggons nach Lublin (Majdanek) verschleppt und von Chilek getrennt. Halina, ihre Schwägerin Hela und Halinas Mutter geraten in die erste Selektion. In dem Waschraum, in den sie anschließend getrieben wurden, sucht Halina verzweifelt ihre Mutter. Sie hat in dem Gedränge nicht bemerkt, daß die Mutter zu einer anderen Gruppe zugeteilt wurde, einer Gruppe, die sofort vergast wurde.

Nun beginnt eine grauenvolle Zeit im KZ. Kämpfe um ein Stück Fußboden zum Ausruhen, um einen rostigen Napf für die wäßrige Suppe, Appelle, bei denen die Schwächeren und Verwundeten zusammenbrechen, ständige Prügel und Angst. Als sie nach Auschwitz transportiert werden, denken sie und Hela, etwas Schlimmeres als Majdanek könne es nicht mehr geben. Ein Irrglaube. In Auschwitz steht das Krematorium weniger als hundert Meter von ihrem Lager entfernt - fast jeden Tag steigt Rauch aus dem Schornstein, und die Luft stinkt nach verbranntem Fleisch.

Hela, die einzige Verwandte, die das vierzehnjährige Mädchen noch hat, stirbt vor ihren Augen an Schwindsucht. Halina selbst rettet, daß sie ziemlich dick ist und mit ihren langen Zöpfen älter aussieht. So überlebt sie mehrere Selektionen. In Majdanek verdankt sie ihr Überleben der Tatsache, daß, als Hela und sie schon im Krematorium stehen, nicht mehr genügend Gas vorhanden ist.

Zum bloßen Überleben gehört in einer solchen Situation nicht bloß ein Wunder, sondern, wie Krystina Zywulska, die ebenfalls Auschwitz überlebte, in ihrer Autobiographie Tanz, Mädchen... ausdrückt, eine „unglaubliche Folge einer Reihe von Wundern“. Halina wurde befreit durch den Einmarsch der sowjetischen Armee, als sie fünfzehn war. Solche Erlebnisse aufzuschreiben gehorcht einem inneren Zwang, Zeugnis abzulegen.

So war es auch bei Halina Birenbaum. Sie gehört von Beginn an nicht zu denjenigen, die das Schreckliche verdrängen, vergessen wollten. Seit 1947 lebt sie in Israel, heiratete dort und hat zwei inzwischen erwachsene Söhne. Sie hat immer erzählt, was sie erlebt hatte. Es begann mit der Frage ihres Sohnes, der damals zweijährige Ya'acov stellte Fragen, als er ihre eintätowierte Nummer, die Kennmarke von Auschwitz, am linken Arm sah. „Wie soll ich das beantworten? Er fragte, 'was ist das?‘, 'wer hat das gemacht?‘, und ich muß doch antworten“, sagt sie. Die Neugier der Kinder erzwingt die Geständnisse. Und auch Halinas „Einsamkeit“. Sie hat keine Verwandten mehr, war bei allen wichtigen Ereignissen ohne Familie: bei der Hochzeit, bei der Geburt ihres ersten Kindes. Als Ya'acov nach einem Besuch bei einer befreundeten Familie, die noch vollständig ist, fragt: „Warum kommt niemand zu uns?“, bricht es aus ihr heraus. „Ich habe vor Verzweiflung geschrien und geweint. Zu uns kommt niemand mehr, wir fahren auch nirgendwohin. Zu uns gehören nur wir: du, dein Vater und ich, habe ich geschrien.“

Inzwischen ist Ya'acov erwachsen. Er ist aufgewachsen unter dem Schatten des Holocaust. Halina erzählte so viel, daß er es kaum ertragen konnte. Er wächst auf unter einem Klima der Angst. Heute noch hat Halina Angst um alle. Wenn jemand zu spät kommt, fürchtet sie, es könne etwas passsiert sein.

Ya'acov schreibt inzwischen Liedertexte und ist prominenter Vertreter der israelischen Musikszene. Zusammen mit Yehuda Poliker brachte er die Platte Ashes and Dust heraus, eine Platte mit Texten zum Holocaust. Sie ist in Israel ein großer Erfolg, Halina erzählt von einem Auftritt in Tel Aviv, zu dem 30.000 Menschen kamen.

Ashes and Dust ist die Filmmusik zu Wegen dieses Krieges. In diesem Film wird dokumentarisch die Bürde der zweiten Generation von den Betroffenen selbst verarbeitet. Halina und ihr Sohn Ya'acov, Yehuda Poliker und dessen Vater, ein Arbeiter aus Thessaloniki, der ebenfalls Auschwitz überlebte, sind die Hauptpersonen.

Auch der Film war ein Erfolg. 1988 als „Bester Film des Jahres“ in Israel prämiert und im Oktober zum „Film des Monats“ der Evangelischen Filmakademie ausgewählt, sind es diese Erfolge, die Halina Birenbaum die Kraft geben. Und auch die Genugtuung. So antwortet sie auf meine Frage (die wohl tausendmal gestellte), wie es nur möglich ist für sie, nach Deutschland zu einer Lesereise zu kommen: „Das ist meine ganze Revanche, meine Befriedigung. Daß ich frei kommen kann mit Ehre, daß keine Gestapo mich gebracht hat. Nach 50 Jahren bin ich da, obwohl ich keine Aussichten hatte zu überleben, kein Recht weiterzuleben.

Uta Klein

Halina Birenbaum: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Reiner -Padligur-Verlag, Hagen. 208 S., 19,80 DM