Es geht nicht um Hilfe für Polen

Adam Michnik, Mitstreiter von Solidarnosc, zum deutsch-polnischen Verhältnis  ■ D O K U M E N T A T I O N E N

Die polnisch-deutschen Beziehungen sind besonders kompliziert und werden es wohl auch bleiben. Wir wollen schließlich daran glauben, daß die Lektion des Nationalsozialismus nie vergessen werden wird. Das Außergewöhnliche dieser Erfahrung bestimmt das gesamte europäische Denken über Politik und Werte. Der Nationalsozialismus wollte Polen für immer vernichten. Die nationalsozialistische Aggression und anschließend ihre Niederlage entschieden über die derzeitige territoriale Gestalt des polnischen Staates. Diese Gestalt ist endgültig. Nicht deshalb, weil vor einigen hundert Jahren Polen die Westgebiete bewohnten, sondern deshalb, weil Hitlers Angriff solche vollendete Fakten geschaffen hat, die den Siegern erlaubten - unter ihnen Stalin -, eine neue Form der Grenzen zu diktieren. Kein Pole wird seine Zustimmung dazu geben, diese Grenzen zu ändern.

Die Grausamkeit der Okkupation hat in Polens Gedächtnis einen starken antideutschen Komplex hinterlassen. Auf diesen Emotionen hat die stalinistische Propaganda und die der Nachfolgezeit gespielt. Das deutsche Thema wurde zum Gegenstand politischer Erpressung. Die wiederum hat sich mit Erziehung zum Haß vermischt. Man hat uns Haß auf die Deutschen gelehrt (außer auf die Kommunisten in der DDR), und dieser Haß sollte aus uns Ergebene des totalitären Systems machen.

Unser Protest wurde systematisch als „Wasser auf die Mühlen der westdeutschen Revisionisten“ qualifiziert. Diese Erpressung sollte unsere Unterwerfung erzwingen. Deshalb hat der Brief der polnischen Bischöfe an die deutschen Bischöfe vom Herbst 1965 - heute erinnern wir uns daran - eine historische Rolle gespielt. Dieser Brief, edel, weise und weitsichtig wie er war, war der Durchbruch durch die psychologischen Barrieren, er brachte eine neue Perspektive in die deutsch-polnischen Beziehungen. Langsam begannen wir zu begreifen, daß es verschiedene Deutsche gab.

Diejenigen, die flohen, und diejenigen, die die Fliehenden verfolgten, die, die aufhängten, und die, die aufgehängt wurden. Hitler und Bonhoeffer, Goebbels und Thomas Mann. Diejenigen, die von „polnischer Wirtschaft“ sprachen, und diejenigen, die nach dem 13.Dezember 1981 Päckchen nach Polen schickten. Deshalb ist das Treffen von Bundeskanzler Kohl mit Premier Mazowiecki in Kreisau eine Berufung auf das beste der Symbole: Die Menschen vom Kreisauer Kreis haben ihr Leben geopfert für eine politische Ordnung, die auf demokratischen und christlichen Werten beruht. Ryszard Wojna hat richtig erkannt, daß „die Symbolik von Kreisau einem Umbruch in den deutsch-polnischen Beziehungen dienen kann“. Es ist jedoch wert darauf hinzuweisen, daß ein solcher Umbruch sowohl in Deutschland als auch in Polen seine Gegner hat. Die deutschen und polnischen Chauvinisten werden weiterhin ihren Haß kultivieren - es genügt, zu den Publikationen der Republikaner in Deutschland oder zu denen extrem nationalistischer Gruppen in Polen zu greifen.

Wir wollen einen Umbruch in den polnisch-deutschen Beziehungen. Wir sind der Ansicht, daß die Deutschen ein Recht auf ihren eigenen Staat haben, die verbissene Unterstützung der stalinistischen Ordnung in der DDR als Garant der Teilung liegt nicht in polnischem Interesse. Die Wiedervereinigung ist eine Angelegenheit der Deutschen. Eine entscheidende Stimme müssen dabei die Bürger der DDR haben, die mit bewundernswertem Mut und Ausdauer um ihre Freiheit kämpfen. Aber die Wiedervereinigung ist auch eine Sache ganz Europas, das Frieden verlangt und sichere Grenzen.

In den deutsch-polnischen Beziehungen darf es keine „weißen Flecken“ geben. Auch die deutsche Minderheit in Polen darf kein solcher Flecken sein. Im Rahmen des Demokratisierungsprozesses muß jede Gruppe von Bürgern des polnischen Staates die Möglichkeit haben, ihre religiösen, kulturellen und nationalen Bedürfnisse zu befriedigen. Auf keinen Fall darf diese Angelegenheit Gegenstand von Feilscherei zwischen Regierungen oder darf Druck auf die polnische Regierung ausgeübt werden. Wie sich deutsche Regierungen der deutschen Minderheit in Polen bedient haben, das hat seine üble Geschichte, und darüber müssen sich alle im klaren sein.

Die derzeitigen Gespräche werden sicherlich mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit verbunden sein. Sagen wir also zum Schluß, daß es nicht darum geht, „Polen zu helfen“, sondern daß es um die Unterstützung einer antitotalitären Evolution in Zentral- und Osteuropa geht. Es geht um die demokratische Zukunft unseres Kontinents. Und in dieser Perspektive muß man die Zukunft in den Beziehungen zwischen unseren Völkern sehen.

Aus 'Gazeta Wyborzca'