Abschied vom Amt - nicht von der Macht

Chinas starker Mann Deng Xiaoping tritt aus der Militärkommission zurück / Nachfolger: KP-Chef Jiang Zemin  ■  Von Jürgen Kremb

Wer in der VR China ein Amt abgibt, verliert in dem konfuzianisch und feudal geprägten kommunistischen Land noch lange nicht die Macht. Schließlich ist Senorität und Loyalität auch in der chinesischen KP eines der Hauptordnungsprinzipien. Deng Xiaoping (85) wird auch nach seinem gestern verkündeten Rücktritt als Vorsitzender der Militärkommission beim ZK weiterhin Politik in China bestimmen. Der Vorsitz der Militärkommission ist faktisch nicht de jure - der Olmyp der chinesischen Macht. Die Urangst chinesischer Herrscher war stets ein Auseinanderbrechen des Riesenreiches. Die zentralisierende Gewalt war die KP nur im Verband mit der Volksbefreiungsarmee. Daß der Veteran des langen Marschs Deng in der Nach-Mao-Ära zum starken Mann Chinas aufsteigen konnte, verdankt er seiner Einbindung ins Militär. Obwohl der in der Provinz Sichuan Geborene seit 1984 alle Waffengattungen um eine Million Soldaten reduzierte, gab es in deren Reihen wenig Murren über Dengs Politik. Zhao Ziyang hatte noch im Mai beim Besuch Gorbatschows in China offenbart: Was Genosse Deng sagt, sei immer noch Gesetz. Der Sturz der von Deng als Nachfolger seiner wirtschaftlichen Reformpolitik vorgesehenen Politiker Hu Yaobang und Zhao Ziyang war auch deswegen möglich, weil es nie gelungen war, die beiden ausgesprochenen Reformer im Vorsitz der ZK -Militärkommission zu verankern. Sie hatten keinen Rückhalt bei den Militärs.

Dengs Rücktritt ist nicht überraschend, bestenfalls der Zeitpunkt ist es. Schon seit 1981 hatte Deng lamentiert, er wolle sich spätestens 1984 von der Macht zurückziehen. „Über 80 wird man etwas verwirrt“, soll er das begründet haben. Es kann nur spekuliert werden, warum Deng jetzt geht - zu einem Zeitpunkt, wo seine Widersacher, gestärkt durch die Vorgänge vom Sommer, keinen Hehl mehr daraus machen, daß sie auch am liebsten den größten Teil des Wirtschaftsreformprogramms kippen würden. Will er das Allerschlimmste verhindern, indem er den Nicht-Hardliner Jiang Zemin (63) jetzt seinen Nachfolger aufbaut? Das wäre ein schwacher Abgang. Denn Parteichef Jiang ist erst seit Juni im Amt, wird von den Militärs kaum über den Tod Dengs hinaus akzeptiert. Besorgniserregender für die Zukunft Chinas ist aber die Tatsache, daß Staatsspräsident Yang Shangkun (82) erster stellvertretender Vorsitzender und sein jüngerer Bruder Yang Baibing (79) zum Generalsekretär der Militärkommission wurden. Die „Yang-Clique“ gilt als Drahtzieher des Massakers. Die seit Jahren in China bange gestellte Frage hat nichts an Brisanz verloren: „Was passiert, wenn Deng Xiaoping stirbt?“