Auf dem Weg zum europäischen Betriebsrat

Gewerkschafter und Betriebsräte des VW-Konzerns aus verschiedenen Europäischen Ländern diskutierten über die bevorstehenden Probleme des EG-Binnenmarktes aus Arbeitnehmersicht / Kommission soll europäischen Konzern-Betriebsrat vorbereiten  ■  Von Gabriele Sterkel

„Ein Durchbruch bei der länderübergreifenden Abstimmung bisher hauptsächlich national orientierter Gewerkschaftsarbeit“ sei gelungen, erklärte Walter Hiller, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Volkswagen AG. Auf einer „Europäischen Arbeitnehmertagung“ im Volkswagenkonzern in Wolfsburg, zu der Walter Hiller und der 1. Vorsitzende der IG Metall, Franz Steinkühler, Arbeitnehmervertreter aus allen Betrieben des VW-Konzerns in Europa eingeladen hatten, ist letzte Woche ein erster Versuch unternommen worden, die Probleme anzugehen, die den VW-Arbeitnehmer und Gewerkschaften durch die Herausbildung des europäischen Binnenmarktes ins Haus stehen. Konkretes Ergebnis dieser Tagung: ein Ausschuß wurde gegründet, der einen Europäischen Konzernbetriebsrats vorbereiten soll. Diesem Gremium gehören Gewerkschafter und Betriebsräte von VW, Audi, SEAT-Spanien und VW-Brüssel an.

„Die Politik hat versagt“, so begründete der Referent des Wolfsburger Gesamtbetriebsrates, Uhl, diese Initiative. Der europäische Binnenmarkt 1992 nahe, und es sei noch nicht abzusehen, daß rechtzeitig gesetzliche Grundlagen geschaffen werden, die den ArbeitnehmerInnen in Westeuropa Mindeststandards für menschengerechte Arbeitsbedingungen garantieren; und ein Gesetz, das eine grenzübergreifende Interessenvertretung regeln könnte, sei bei den gegenwärtigen politischen Machtverhältnissen schon gar nicht zu erwarten. Man wolle zwar die Politiker nicht aus ihrer Pflicht für die Sicherung und Schaffung von Arbeitnehmerrechten entlassen, sagte Hiller, aber die Belegschaftsvertreter des VW-Konzerns könnten die Zeit bis zur Vollendung des Binnenmarktes nicht tatenlos verstreichen lassen. Es sei höchste Zeit, die Initiative nun selbst in die Hand zu nehmen.

Gewerkschafts- und Betriebspolitik nämlich wird in dem Maße immer wirkungsloser, wie Unternehmensentscheidungen außerhalb eines rein nationalen Rahmens fallen. Immer häufiger werden bundesdeutsche Betriebsräte mit der Drohung konfrontiert, die Produktion in ein anderes Land der EG auszulagern, in dem die Löhne niedriger, die Arbeitszeit länger und die Arbeitsbedingungen schlechter sind.

Auch die Konkurrenz zwischen den einzelnen Standorten des VW-Konzerns wird durch die Strukturveränderungen in der Automobilindustrie immer stärker, denn die verschiedenen europäischen Standorte sind technologisch in immer höherem Maß zur parallelen Produktion gleicher oder ähnlicher Fahrzeugtypen in der Lage. Dadurch werden (auch kurzfristig) Produktionsverlagerungen in die jeweiligen EG-Billiglohn -Länder immer leichter praktikabel. Durch diese Entwicklung geraten auch die ArbeitnehmerInnen des gleichen Konzerns an den verschiedenen Standorten zunehmend in Konkurrenz zueinander.

Die Gewerkschafter wollen sich aber nicht gegeneinander ausspielen lassen. „Wir wollen verhindern, in einen Konkurrenzkampf der Belegschaften getrieben zu werden. Dabei würden alle, ob in der Bundesrepublik, in Spanien oder in Belgien, nur die Verlierer sein. Wir wollen dagegen Voraussetzungen schaffen, daß sich die Arbeitszeiten, die Einkommen und die Arbeitsbedingungen europaweit auf hohem Niveau angleichen“, so VW-Betriebsratsvorsitzender Walter Hiller.

Die Stimmung bei den VW-Gewerkschaftern sei hoffnungsvoll, man sei sich in den grundlegenden Zielen weitgehend einig. Gleichwohl wird nicht verheimlicht, daß die Interessen in den unterschiedlichen Ländern verschieden und oft gegensätzlich sind. Die Betriebsräte in Wolfsburg, beispielsweise, kämpfen um den Erhalt ihres Standorts und wollen ihren Lebensstandard halten. Die Kollegen in Pamplona hingegen wollen wegen der hohen Arbeitslosigkeit in ihrer Region eine Ausweitung der Produktion und die Schaffung neuer Arbeitsplätze erreichen. Genau an diesem Punkt soll nun das neu geschaffene Gremium eingreifen und einen „solidarischen Interessenausgleich“ erreichen. Dazu sei es notwendig, daß die Investitionsplanung des Konzerns auf europäischer Ebene zwischen Management und Arbeitnehmervertretern beraten wird.