Schwestern in Bremen-Ost: „Wer sind wir? Was tun wir?“

■ Erste Fachtagung nur für und von Krankenschwestern und Pflegern in Bremen-Ost / Ziel: Motivation aus Kompetenzen und Anerkennung

So etwas hat es noch nicht gegeben. Daß eine Psychiatrie -Fachtagung im Krankenhaus Bremen-Ost abgehalten wird, wäre ja nichts Besonderes. Daß drei Tage mit Vorträgen, Debatten und Arbeitsgruppen als Fortbildung für Schwestern und Pfleger organisiert sind und dabei das eigene Berufsbild „Wer sind wir? Was tun wir?“ zum Thema haben, ist in Bremen das erste Mal. Gar bundesweit neu ist, daß weder Ärztinnen noch Therapeuten, weder Vertreter der Gesundheitssenatorin noch der Gewerkschaft irgend etwas bei der Planung oder Durchführung zu sagen haben. Worüber zu reden wäre, entscheiden die Schwestern zur Abwechslung mal selbst.

Und das ist erst der Anfang. Im Krankenhaus Ost ist die Basis aufgewacht. „Schwester Rosi, setzten Sie doch schnell auf Zimmer 5 die Beruhigungs-Spritze.“ - „Herr Warnke, ein Pfleger muß heute die ambulante Patientin zum Sozialamt begleiten; machen Sie das, bitte.“ So ähnlich geht das Tag für Tag nicht nur im Krankenhaus Ost. Schwestern und Pfleger sind in dem klassischen Frauenberuf der Pflege (inzwischen 1/3 Männer) die Mädchen für alles, sie sind flexibel, springen ein und bü

geln aus. „Wir wissen nicht mehr, wo unser Beruf aufhört und wo der der hier beschäftigten Psychologen, Sozialarbeiter, Therapeuten anfängt“, beschrieb gestern auf der - ganz ohne die oberen Etagen - abgehaltenen Pressekonferenz die stellvertre

tende Pflegedirektorin Tuula Lindemeyer. Die Schwestern, weit mehr als alle anderen beteiligten Berufsgruppen mit den PatientInnen zusammen, wissen oft am besten, was schon zumutbar ist, ob die Patientin schon auf die ambulante Abteilung kann, wie sie auf

Belastungen reagiert oder mit Medikamenten umgeht. Dieses Wissen und ihre psychologische Kompetenz werden täglich abgefordert - aber weder finanziell noch moralisch honoriert. Sie sind fast die letzten in der Kette, arbeiten zu, dürfen aber nichts

entscheiden. Ihr Wissen wird benutzt, aber nicht anerkannt. Ihre soziale Kompetenz ist nötig - aber immer nur auf Anfrage von oben. So eine Struktur garantiert den Abbau von Engagement und Motivation in wenigen Jahren; die Fluktuation im Beruf spricht eine deutliche Sprache. „Wir reden hier nicht von Bezahlung und Stellenausbau, das steht auf einem anderen Blatt. Wir wollen mit uns und der Arbeit zufrieden sein können, Kompetenzen haben und verantwortlich handeln können“, erklärte Maria Stock aus der ambulanten psychiatrischen Tagesklinik West.

Überwältigend ist die Resonanz auf die Tagung. 100 Schwestern und Pfleger aus dem Hause, weitere 400 aus bundesdeutschen Städten, aus Österreich und der Schweiz haben sich angemeldet und werden über Zwang und Gewalt in der Psychiatrie, über Arbeit mit Angehörigen, Psychopharmaka und Entgiftung und Bewegungstherapie, über Spielsüchtige, über Krisendienst und auch über die Geschichte der Irrenanstalt debattieren.

Es geht den engagierten Schwestern und Pflegern nicht darum, die Qualifikationen und Kompetenzen der ausgebildeten

Ärztinnen, Therapeuten und Sozialarbeiter in Frage zu stellen. Es geht um dreierlei: Qualifikation jetzt selbst in die Hand zu nehmen in den Bereichen der Psychiatrie, die ohnehin, wenn auch unausgesprochen, täglicher Arbeitsinhalt des Pflegepersonals sind. Dann die Definition einer Berufsrolle und Kooperation mit und Abgrenzung von den anderen Berufsgruppen; schließlich Vorüberlegungen zu Klinik -Strukturen, die mehr Kompetenz und Verantwortung auf der Pflege-Ebene auch organisatorisch garantieren. „Wir wollen nicht jammern, sondern unsere Ziele formulieren und aufhören zu warten, daß andere etwas für uns tun,“ erklärte Hildegard Hartje-Horn, Tagesklinik; damit der bedrückende Satz „Ich bin nur Schwester hier“ endlich aufhört. Man ist erst am Anfang, aber gewaltig.

Erste Ansätze zu hierarchieübergreifender Zusammenarbeit gibt es vor allem auf neueingerichteten Abteilungen, die nicht die Tradition der Irrenverwahranstalt auf dem Rücken haben. In der Langzeit-Pflegestation 3 etwa arbeiten die Berufsgruppen, zunächst erst informell, als Team zusammen.

Susanne Paa