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Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

■ Die Geschichte und die Geschlechterfrage oder: Wie die Tazfrauen einmal am Puls der Zeit waren

Direkt am Checkpoint-Charlie liegt es, das wunderschöne Cafe Adler, 100 Schritte vom neuen Haus der Taz entfernt. Donnerstagabend: ein Dutzend Redakteurinnen diskutiert heftig über die Frauenberichterstattung, speziell zur DDR. Warum die Frauen untergehen. Warum der Aufmacher im Nebensatz versteckt, daß wieder keine einzige Frau ins Politbüro gewählt wurde. So darf es nicht weitergehen. Und dann werden wir überrollt. „Die Grenze ist offen!“ Kollegin G. hat im Vorraum zur Toilette das Telefonat eines Fotografen der BBC belauscht. Der hat die News gerade aus den DDR-Nachrichten gehört. Es ist 20 Uhr, und alles ist anders. Uns hält nichts mehr auf den roten Plüschsofas, Frauenfrage hin oder her. Raus auf die Straße, fragen wir doch die Vopos selbst, was los ist. Die haben noch gar keine Anweisung von oben, haben die Nachricht eben erst selbst gehört. Also sind sie freundlich, aber immer noch ganz schrecklich beherrscht: Ja, ab Mitternacht dürften die Bürger der DDR über jeden Grenzübergang, ja es genüge ein Stempel im Paß, die Behörden würden wohl auf Hochtouren arbeiten, aber jetzt käme bestimmte noch niemand rüber... Zurück ins Cafe, alle Welt ist im Gespräch miteinander, am Grenzhäuschen der Alliierten versammeln sich die ersten Neugierigen, im Radio spricht Momper, zu fassen ist es nicht. Aktuellenredakteurin B. kommt erschöpft und bleich und abgekämpft dazu und wiederholt monoton: „Ich kann's nicht glauben, ich kann's nicht glauben.“ Die Kollegin von der Redaktionsleitung G. stöhnt voller Wollust: „Zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“ Der Atem der Geschichte, und wir sind die ersten.

Die Leute vom Cafe spendieren Sekt, und es gibt nochmal eine kleine Demo auf Ost-Berliner Boden, zu den Vopos, die sollen mit uns anstoßen. Aber vorerst bleibt die Revolution preußisch. „Kein Alkohol im Dienst“, wehrt der oberste der Vopos ab und lächelt reichlich verkniffen, und er ist halt doch nicht auf der Höhe der Zeit, denn „bitte meine Herren“, sagt er immer wieder zu uns Frauen, „bitte meine Herren, gehen Sie doch zurück“. Wie war das mit der Geschlechterfrage? „Frau-en ins Po-lit-Bü-ro“ skandiert die Frauenredakteurin U. übermütig. Frauen, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort. Am nächsten Morgen erscheint unser Foto in der 'Bild‘.

Helga Lukoschat

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