Steht auf, die Lampen nehmt

■ Das Heil ist mitten unter uns und kommt aus der DDR

Auf einmal sitzen Kinder zwischen den Grauhaarigen und den Wollhüten des Bremer Doms. Und die drei da abseits, Vatermutterkind bescheiden hinter der Säule, die kommen bestimmt auch von drüben. Das heißt, Pastor Abramzik sagt es: Von drüben kann man jetzt nicht mehr sagen, sie sind „mitten unter uns“. „Wach auf, wach auf Du deutsches Land! Du hast genug geschlafen. Bedenk, was Gott an Dich gewandt, wozu er Dich erschaffen. Bedenk, was Gott Dir hat gesandt und Dir vertraut sein höchstes Pfand, drum magst Du wohl aufwachen.“ Alles, Lieder, Predigt, selbst die beiden Magnificats, die der Demantiuschor aus Oldenburg singt, ist jetzt auf dieses Fest eingestellt. Es sollte dem 1200jährigen Dom gelten. Jetzt wird es von den Menschen bestimmt, die endlich herüber-und hinüberreisen können. „In diesem Dom haben wir heute die Sonne Gottes“, sagt Abramzik. Er spricht aus „unruhigem, dankbarem Herzen“ angesichts dieses „Volkes in Bewegung“. Und er erbittet, daß davon eine Erneuerung ausgehen möge, die „Freundlichkeit“ bringt und „unseren Blicken Wohlwollen schenke“. Er bittet um eine Erneuerung gerade auch für uns Westler. Er zitiert einen Kommentar, den er in der Leipziger Nicolaikirche gelesen hat, aus deren montäglichem Fürbittgottesdienst die erste Demonstration der Hunderttausende entstand. „Fürchte Dich nicht vor den Feinden“, heißt es darin, die Dich im schlimmsten Fall nur töten, nicht vor den Freunden, die Dich im schlimmsten Fall nur verraten können. Aber „fürchte Dich vor den Gleichgültigen“. Denn: „Nur mit ihrer stillschweigenden Zustimmung gibt es in der Welt Mord und Verrat.“

Abramzik legt die Geschichte aus von Jesus, der sich zum Gast des reichen, überbeleumundeten Zachäus macht. Der ist Oberzöllner, was soviel bedeutete wie Obergeldschneider (Lukas 19. 1 - 10). Zachäus, der auf einen Baum gestiegen war, um Jesus zu sehen, „nimmt ihn mit Freunden auf“ und ändert sein eigenes Leben damit. Gibt ab von seinem Reichtum und macht seine Zollbetrügereien wieder gut.

Abramzik hat keine Angst vor Kitsch, manchmal ist das von Vorteil. Die reichen Zachäusse sind wir. Wenn wir die Nacht wach bleiben wie die klugen Jungfrauen und wenn es uns nicht in den Betten hält, wenn diese Menschen da rüber kommen, manchmal das erste Mal seit 40 Jahren und mit 15 Ost-Mark und ohne Nachtlager. Wenn wir an die Autobahnraststätten eilen, sie zu empfangen und wenn wir uns freuen, dann ist diese Freude das erste. Und das zweite ist, daß wir ein Tun dazutun, wenn wir sie in unseren Betten schlafen lassen. „Heut ist diesem Hause Heil widerfahren“, sagt Jesus über das Haus des Zachäus, der ihn aufnahm.

Uta Stolle