Kartoffelkrümelkuchen und Seifenrezepte

■ Ausstellung im Focke-Museum: „Mit Zuckersack und Heißgetränk - Leben und Überleben in der Nachkriegszeit“

Der Bremer Staatsrat Andreas Fuchs ist ergriffen und bricht seine Eröffnungsrede ab. Die Masse der Angesprochenen erschrickt und wartet gespannt: Wird er wieder zum Vorschein kommen? Aber da tritt er zum zweiten Mal hinter das Mikrofon: „Es geht einem doch ans Herz“, entschuldigt er die Unterbrechung und meint damit nicht die Ausstellung, sondern die weltgeschichtlichen Ereignisse der letzten Tage. Und weil sie sozusagen die Gefühle der Nachkriegszeit heraufbeschwören, beschwört Staatsrat Fuchs den hochbedeutsamen Zeitpunkt dieser Nachkriegsausstellung. Und „an uns ist es nun, zu handeln“, oder aber „warum schicken wir nicht LKWs mit dem Nötigsten?“ Schließlich sind hier und heute die Care-Pakete ja nicht nur verblaßte Erinnerung, sondern liegen gleich nebenan in der Ausstellung. Schließlich spielen sogar die Berliner Philharmoniker gratis für die DDR-Besucher.

Die halbe Stunde der „Besinnung“ und „Initialzündung“ geht denn doch vorbei, und wir sind zum besinnungsvollen Schauen entlassen. Aber weil die Menge die Größenordnung einer Kirchenladung umfaßt, ist's schwierig, bei Besinnung zu bleiben.

Die Ausstellung über „Leben und Überleben in der Nachkriegszeit, Bremen 1945-1949“ ist mit Hilfe von circa 700 Alltags„kultur„-Objekten von Bremern zustande gekommen. Außerdem wurden vom Fockemuseum 400

Fragebögen an Bremer Zeitzeugen verschickt, aus deren Antworten ein Katalog zur Ausstellung erarbeitet wurde.

Herr Vogel steht ein bißchen aufgeregt vor der Vitrine mit den russischen Gefangenen-Jacken: Da, da unten ist sein Krückstock. Mit dem ist er aus dem Lazarett nach Hause gekommen. Eigentlich ist der Stock eine Meßlatte, schwarzrotschwarzrot, ja, das sieht man noch, und die Krücke obendrauf hat ein Kamerad geschnitzt. Ist das nicht seltsam, daß plötzlich seine Überlebensrequisiten hinter Glas liegen zum Bestauntwerden? Ja, ein bißchen schon. Aber so vieles fällt einem da wieder ein, zum Beispiel, daß es damals nur besser werden konnte im Gegensatz zu heute. Und war man nicht unendlich bescheidener?

Aus allen Ecken tönen kleine Erkennungsschreie, in der nachgestellten Wohnung mit Schlafgestell, Brennhexe, Stickdecken aus Fallschirmkordeln, Stahlhelm-Nachttopf und anderen Wiedererkennungs-Utensilien bleibt niemand gern lange. Die wenigen jungen Leute sehen ratlos aus und versuchen, ergriffen zu werden. Ein Vater erklärt seinem Knirps, wie ein Kaffeeröster aus Eisenblech mit Spiritus beheizt wurde. Wie soll das arme Kind das verstehen!! Kaffee gibts doch bei Eduscho, weil Eduscho das ja sonst nicht machen würde. Die alte Dame mit dem Großstadtcafe-Hut versteht nicht mehr, wie das damals gehen konnte, und

warnt mich vor dem „Kartoffelkrümelkuchen“, der ihr schon damals nicht geschmeckt habe. „Hilfreiche Hände“ (Museumsdirektorin Pohl-Weber) haben nach alten Rezepten für die Eröffnung gebacken, und das Ergebnis kann natürlich nicht schmecken. So ohne Fett und Ei. „Ach, wissen Sie“, sagt eine Schlohweiße, ein Traum von einer Großmutter, „irgendwie war man damals noch

produktiv.“ Und erzählt von ihrer abenteuerlichen Fahrt mit dem Fahrrad durch die Nacht, von Bremen nach Bremerhaven, bei Fliegeralarm. Frau Grebe verrät mir ihr Seifenrezept: Seifenstein, Knochen, nicht für den menschlichen Verzehr geeignete Innereien, Fett, Regenwasser, Salz, alles 2-4 Stunden kochenlassen, manchmal mit einem Tropfen Parfüm, eine Art Duft-Illusion.

In der Abteilung mit dem Spielzeug, den Lebensmitteln (echt altes Eingemachte!!), den rührenden Kleidchen, den Plakaten mit den Kulturankündigungen wundert sich ein Herr über das alte Fahrrad mit Gangschaltung: „Das stimmt aber nicht!“ Aber sonst stimmt alles. Claudia Kohlhas

Tägl. außer montags 10-18 Uhr. Katalog für DM 28.-