Keine Zeit für Bananen

■ DDR-TouristInnen landeten in Bremen in der Notaufnahme / Zeit der 100-Mark-Scheine

Sämtliche neun Plätze der Telegrammaufnahme in Bremen hatten alle Hände voll zu tun: Der zentrale Aufnahmecomputer fabrizierte ununterbrochen Warteschleifen. Telegramme vom Sonntag morgen hatten kaum eine Chance, vor Montag noch anzukommen. An Telefonverbindungen war gar nicht zu denken. „Wir schicken vor allem Freuden-Botschaften und Einladungen: Fast alle Telegramme fordern Verwandte, die noch „drüben“ sind, zum Kommen auf: „Viele nicht nur zu Besuchen“, zieht eine Telegrafin Bilanz.

In der Notaufnahme des ASB in Bremen-Nord standen bis Samstag nachmittag die BesucherInnen Schlange, um ihr Begrüßungsgeld abzuholen, bis sich am Nachmittag die Zuständigkeit der Postämter herumgesprochen hatte.

Neue Aufgaben waren überraschend auf die HelferInnen des ASB zugekommen: Spontan-BesucherInnen, die bei Freunden und Verwandten unverhofft eingetroffen waren , dort aber nicht übernachten konnten, wurden vom ASB in die für Flüchtlinge bereitgehaltenen Unterkünfte verwiesen. Das ganze Wochenende über wurden in der sogenannten „Schleuse“ auch Privatquartiere weitervermittelt, die BremerInnen vorübergehend anboten.

In der Innenstadt waren auf der

üblichen Touristen-Route Roland-Rathaus-Böttcherstraße -Schnoor DDR-BesucherInnengrüppchen anzutreffen: Nicht mit Plastiktüten voller Bananen, sondern gemütlich schlendernd, Schaufenster-guckend, mit den absonderlichsten „Cameras obskuras“ vorm Bauch. Michael und Sophie M. zum Beispiel hatten erst vor drei Wochen geheiratet. Der Wochenendausflug zum Ro

land - unverhoffte Hochzeitsreise. Vor dem Postamt in der Löningstraße, wo ein herzhaft freundlicher Postbeamter am improvisierten Schalter „Liebe DDR-Besucher, ... hier erhalten Sie das Begrüßungsgeld...“ stapelweise Hundertmarkscheine verteilte, hatte ein Amerikaner sie mit rollendem RRR bereits beglückwünscht.

Volksfeststimmung war den

Bremer Straßen nicht anzumerken. Geschenk der BSAG an die BesucherInnen: Eine Bremer 14-Tage-Karte für nur zehn Mark. Gestern durften DDR-Paß-Besitzer umsonst.

Auf dem Marktplatz, 11 Uhr 15. Klamme Sonne. Eine kleine Bremensisch-Dresdener Großfamilie sammelt sich. Wie ist es dem Dresdener Teil gegangen bei der Fahrt? „Wahnsinn, reiner

Wannsinn.!“ sagt die junge Frau. Wie die im Fernsehen. Diese Frau meint mit „Wahnsinn“ aber nicht die plötzliche Öffnung des Mauer-Käfigs, sondern was ihr folgte: 12 Stunden im Stau, als man nicht mehr umkehren konnte, als man es nach 8 Stunden wollte. Die Kinder sehen strapaziert aus.

Der Marktplatz wird als Treffpunkt wiederbelebt. Was fehlt: Eingeborene Bremenser, die herströmen, den Gästen, ihre Stadt zu zeigen. Und wo sind wohl der Bürgermeister und die Herren des Rates?

Einzig offen neben der „Puppenstube“ der Kiosk. Leute wollen einen Stift kaufen, nein danke, nicht geschenkt kriegen, und Briefmarken für die DDR. „Ich bin aus Ostdeutschland,“ sagt der Kioskverkäufer. „Wir sind aus Mitteldeutschland,“ sagen die Käufer.

Warten vor dem Bahnhof. Der Zug aus Rostock, Ankunft 14 Uhr, verspätet sich. Wenige Leute steigen aus. Wie erkennt man die aus der DDR? Die halten oft Speisekarten oder Prospekte in der Hand, lassen sowas gern mitgehen, sagt Barbara, Bremerin aus Hessen. Die haben unsichere Bewegungen, und sie sind schlechter angezogen, sagt ihre Schwester. „Woher kommen Sie,“ frage ich einen, auf den das zutrifft. Er kommt aus Kassel und schenkt mir eine Brezel.

ra/us