Berlin in Nicaragua

Managua (taz) - „Die Berliner Mauer ist gefallen“, jubelte wenige Stunden nach der historischen Schleusenöffnung die rechtsoppositionelle 'La Prensa‘, die am folgenden Tag in einem Kommentar über die „tapf'ren und kräftigen Deutschen“ philosophierte, die sich nicht unterkriegen lassen. „Es scheint, daß die demokratische Welle nicht mehr aufzuhalten ist, die jene radikale Ideologie, die Kultur der Sklaven, der Despoten und des Zentralismus, nach und nach besiegt“, kommt der konservative Intellektuelle Emilio Alvarez Montalvan ins Schwärmen. Das sandinistische Parteiorgan 'Barricada‘ und die prosandinistische 'El Nuevo Diario‘ brachten die Entscheidung der DDR-Oberen zunächst als nüchterne Meldung. 'Barricada‘ widmete dem Thema immerhin auf der Auslandsseite reichlich Platz: als Zusammenschnitt westlicher Agenturmeldungen, die die emotionsgeladenen Szenen auf den Straßen aussparten. Am Samstag wagt das offizielle Blatt dann einen politischen Seiltanz: auf der Meinungsseite die Apologie für „die Barrikaden, die im rechten Moment errichtet werden, um die Aggression abzuwehren“, und auf der Auslandsseite eine nüchterne Beschreibung des unmenschlichen Bauwerks, wobei dem nicaraguanischen Leser auch die Selbstschußanlagen und die 74 Todesopfer nicht verschwiegen werden.

Nicaragua pflegt seine Beziehungen zur DDR, die nach der Sowjetunion die wichtigste Wirtschaftspartnerin im Osten ist. Deshalb darf auch der Bericht nicht fehlen, wo ein gerade in Nicaragua weilendes Mitglied der Planungskommission versichert, daß die Zusammenarbeit durch die Reformen nicht beeinträchtigt werde.

Ralf Leonhard