Akademische Posse um Pfusch am Uni-Hörsaal

■ Abgesägte Rückenlehnen, aufgesetzte Sitzschalen und fehlende Fluchtwege / Der Verantwortliche soll sich selbst kontrollieren

Seit einem halben Jahr haben StudentInnen der Bremer Universität das zweifelhafte Vergnügen, neue Räume nutzen zu dürfen. Seitdem gibt es im neuen Hörsaalgebäude zwei unterschiedlich große Sääle, denen eins gemein ist: Auf den Stühlen läßt sich nur schlecht sitzen. Und trotz zahlreicher Beschwerden von StudentInnen, trotz einer vernichtenden Stellungnahme der Vertrauensfrau der Schwerbehinderten, trotz Forderungen des Akademischen Senats, das Gebäude baulich nachzurüsten: Getan hat sich bislang nichts.

Zur Erinnerung: Nachdem das 5,7 Millionen Mark teure Gebäude fertiggestellt war, hatten

der Sicherheitsbeauftragte der Universität und der Bremische Gemeinde-Unfall-Versicherungsverband Mängel moniert und die Abnahme verweigert. Grund: Die Durchgangsreihe hinter den Stühlen betrug nicht wie vorgeschrieben mindestens 45, sondern lediglich 28 bis 30 Zentimeter. Daraufhin wurden kurzerhand die Lehnen abgeschnitten. Jetzt stimmte zwar die Durchgangsbreite, dafür klagten StudentInnen, die teilweise bis zu sechs Stunden hintereinader in den Räumen zubringen müssen, über Rückenschmerzen. Und: StudentInnen, die größer als 1,85 Meter sind, bekommen ihre Knie nicht unter die Tische, es sei

denn, sie nehmen in der letzten Reihe Platz. Weitere Kritik kam von der Vertrauensfrau der Schwerbehinderten. RollstuhlfahrerInnen können zwar ebenerdig in den großen Hörsaal einfahren (es muß ihnen allerdings jemand die Tür öffnen, da ein automatischer Türöffner fehlt), wenn sie aber ein menschliches Bedürfnis packt, müssen sie erst einmal eine weite Tour zur nächsten Toilette machen. Die behindertengerechten Toiletten im Hörsaalgebäude sind nicht zu erreichen. Es fehlt ein Fahrstuhl.

Und in den beiden Gebäuden fehlen Tische, an denen RollstuhlfahrerInnen arbeiten können, vorausgesetzt, sie kommen überhaupt in den Saal. Beim kleinen Hörsaal beispielsweise stören Garderobenhaken die Zufahrt.

Der akademische Senat der Universität setzte eine Kommision ein, die mehrmals tagte und unter anderem einen Gutachter auftrieb, der kostenlos prüfen wollte, ob die abgeschnittenen Stuhlreihen einem Studentenrücken zuzumuten seien. Doch Unirektor Timm mochte dem Gutach

ten-Vorschlag des Gremiums so ohne weiteres nicht folgen. Er wandte sich mit der Bitte um Stellungnahme ausgerechnet an einen, der für das Stuhldilemma in doppelte Weise mitverantwortlich ist, an den Leiter des Hochbauamtes, Helmut Dietrich. Der war zunächst als Leiter der Abteilung Bau der Universität mit dem Hörsaal-Planungen befaßt und dann, nach dem Karrieresprung zum Leiter des Hochbauamtes, mitverantwortlich für die Bauüberwachung: Timm an Dietrich und den Senatsdirektor für Bildung Wissenschaft und Kunst, Reinhard Hoffmann: „Ich bitte insbesondere um Mitteilung, ob Sie ein entsprechendes Verfahren zur Grundlage weiterer Maßnahmen und Schritte zur Verbesserung der Situation machen würden.“ Die Frage im Klartext: Würden die Behörden die Stühle herausreißen und durch neue ersetzen, wenn ein Gutachten eine entsprechende Empfehlung gäbe? Kostenpunkt für eine solche Maßnahme: 350.000 Mark.

Dazu aber sind der Wissenschaftssenator und das Hochbauamt offensichtlich nicht bereit. Statt dessen wird eine 250.000 Mark billigere Lösung angestrebt. Die abgesägten Rückenlehnen sollen wieder durch die ursprünglich aufgesetzten Sitzschalen ersetzt werden. Den Bedenken des Unfall-Versicherungsverbandes soll dadurch Rechnung getragen werden, daß durch das Herausnehmen einiger Bänke zwei zusätzliche Fluchtwege von oben nach unten geschafft werden. Ansonsten, so Hochbauamts-Chef Helmut Dietrich zur taz, „reicht der Stand den wir dort haben für den Standardmenschen.“ Und der ist, behördlich festgelegt, 1.72 Meter lang. Die jetztige Bestuhlung sei das Ergebnis der Sicherheitsbedenken des Gemeinde-Unfall-Versicherungs -Verbandes, schiebt Dietrich die Verantwortung ab. Und

zu den Klagen, die vor allem von StudenteInnen des Fachbereichs Produktionstechnik kommen, die an manchen Tagen bis zu schs Stunden in dem Gebäude sind, meinte Dietrich: „So war das auch nicht vorgesehen.“

Beim Gemeinde-Unfallversicherungsverband ist ein Herr Reck in Sachen Hörsaal verantwortlich. Der erzählt der Presse zwar überhaupt nichts, ansonsten aber jedem X-Beliebigen der anruft, was er von der Bestuhlung im Hörsaal hält: „Ergonomisch ist das Käse.“ Immerhin könnten die StudentInnen jetzt hinter den Nebenleuten durchgehen, dafür habe sich der Sitzkomfort minimiert. Er habe bereits bei der Abnahme gesagt, daß es das Vernünftigste sei, die Bestuhlung herauszureißen und durch normale Klappstühle zu ersetzen. Damals sei er ausgelacht worden. Vom Hochbauamt hat Reck gerade Pläne auf den Tisch bekommen, die ursprüngliche Höhe der Lehnen wieder herzustellen und ein oder zwei zusätzliche Fluchtwege einzurichten. Reck: „Ob das reicht, da bin ich skeptisch.“

Während die Stadt also offenbar versucht, den Pfusch am Bau auf möglichst billige Art ein bißchen zu kaschierfen, so wird sich in Sachen behindertengerechte Einrichtung trotz einstimmig vorgetragener Forderungen des akademischen Senats wahrscheinlich gar nichts ändern. Sowohl beim Wissenschaftssenator als auch beim Hochbauamt behauptet man, daß die Richtlinien für behindertengerechtes Bauen sehr wohl eingehalten worden seien. Helmut Dietrich verweist darauf, daß RollstuhlfahrerInnen ja den Aufzug im Zentralbereich benutzen können. Es sei nicht geplant, jedes Gebäude mit einem Fahrstuhl auszurüsten. Denn: „Man kommt ja überall hin.“ Und: „Die Uni hat kein Geld. Es muß aber alles auch bezahlt werden.“

hbk