piwik no script img

Bremer City 1,5 Stunden verkehrsberuhigt

■ Protest gegen Concordia-Tunnel: Alle Räder standen still / Je jünger, desto radikaler / Polizei: „Sollen wir uns prügeln?“

„Ich fahr 60.000 Kilometer im Jahr, da kommt es auf eine halbe Stunde nicht an.“ Der Handelsvertreter in seinem blauen Opel Omega nimmt es mit einem Schuß Fatalismus. Andere sitzen hinter ihren Lenkrädern und schnauben vor Zorn: „Auf mich warten 30 Schüler. Was soll ich denen denn sagen.“ Na, zum Beispiel, daß der Protest gegen die Belästigung durch den Autoverkehr gestern

abend in Bremen eine neue Qualität bekommen hat. Da blockierten ab 17.00 Uhr etwa 500 BremerInnen für fast eineinhalb Stunden zunächst die Schwachhauser Heerstraße am Concordia-Tunnel, und wenig später auch noch die Hauptverkehrskreuzung Bismarck-Straße/Schwachhauser Heerstraße. Im Umkreis von etwa fünf Kilometern brach der Feierabend-Verkehr völlig zusammen.

Nur Busse und Bahnen hatten eine kleine Chance, sich durch das Blechgetümmel zu wühlen.

Aufgerufen zu der Demonstration hatte die Bürgerinitiative gegen eine Stadtautobahn durch Bremen. Der Grund: Die Bundesbahn hat mit den Bauarbeiten für eine neue Übertunnelung für die Gleise sieben und acht begonnen. Damit entsteht jedoch lediglich ein Drittel des neuen Tunnels.

Um die anderen Teile des Tunnels wird weiter vor dem Verwaltungsgericht gestritten. Inzwischen hat die Bundesbahn gegenüber der Bürgerinitiative bekundet, daß sie kein Interesse mehr an dem Gesamtprojekt habe. So wäre jetzt der Senat gefordert, ein völlig neues Planfeststellungsverfahren einzuleiten. Folge: Bis der Gesamttunnel fertig ist, gehen noch mehrere Jahre ins Land, sofern der Senat an der Absicht, die Straße an dieser Stelle zu verbreitern, überhaupt noch festhalten wird.

Wenn er dies tut, dann weiß er spätestens seit gestern, daß die SchwachhauserInnen mit ihrem Protest noch lange nicht am Ende sind. Und sie können, zumindest war dies gestern so, auf einen mächtigen Verbündeten rechnen. „Das ist ein verbrieftes Grundrecht, was die hier machen“, meint zu Beginn der Demo der Leiter des 7. Polizeireviers. „Mal gucken, wie lange die das machen. Vielleicht müssen wir irgendwann mit den Verantwortlichen reden.“ Währenddessen sorgen Kinder unter dem Tunnel für Vorfahrt für Bahn und Bus. In Windeseile schaffen sie, was die Baubehörde in Jahrzehnten nicht tun wollte: Sie schraffieren mit

Pinsel und Farbe eine eigene Fahrspur für den ÖPNV.

In der Zwischenzeit marschiert ein Großteil der BlockiererInnen zur Bismarckstraße und, je jünger umso begeisterter, sperren dort die Straße. Einen kleinen Moment überlegt die Polizei nun, die Straße freizudrängeln, gibt das Vorhaben aber nach kurzer Zeit wieder auf. Einem Autofahrer, der brüllend nach dem Sinn einer Polizei fragt, antwortet ein Beamter per rhetorischer Gegenfrage: „Sollen wir uns hier prügeln?“ Antwort: „Arschloch.“

„Selbst die Bremer Musikanten würden jetzt zu Militanten“, hatte einer auf ein Plakat getextet. Bis Redaktionsschluß aber blieb es bei friedlicher Blockade und wechselseitiger Beschimpfung. Insbesondere die jüngsten der Demonstranten taten sich da hervor: „Umweltsau, Umweltsau“, brüllt eine etwa 10jährige immer wieder die AutofahrerInnen an. Und fragt als alle gehen ihre Freundin: „Warum ist denn jetzt schon Schluß?“ Vielleicht kann sie schon bald wieder „Umweltsau-Blockieren“ spielen. Einige der Beteiligten fanden so viel Spaß an der Aktion, daß sie an eine wöchentliche Wiederholung denken.

hbk

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen