Grenzgänger zwischen Ost und West

■ Vor dem Mauerbau am 13.August 1961 arbeiteten rund 60.000 DDR-Bürger in West-Berlin / Die Löhne für die Ost-Arbeitnehmer lagen zum Teil weit unter Tarif / Westliche Kleinbetriebe versuchten die Löhne zu drücken / Auch 13.000 Westberliner arbeiteten im Osten

„Die waren natürlich gut dran und haben als erste geweint, als die Mauer gezogen wurde“, erinnert sich der Pächter eines ehemaligen Bahnhofscafes am Gesundbrunnen. Gemeint sind die Grenzgänger, ein Berliner Phänomen, das nach Öffnung der Mauer wieder aktuell werden könnte. Grenzgänger hatte man die Menschen getauft, die bis zum August 1961 in West-Berlin arbeiteten und in Ost-Berlin und in der DDR wohnten - oder umgekehrt.

Anfang August 1961 gingen noch 13.000 Westberliner in Ost -Berlin und in der DDR arbeiten - darunter rund 6.000 Eisenbahner und 3.500 freischaffende Künstler, Artisten und Schausteller. Dagegen verdienten sich nach Angaben des damaligen Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen vor dem Mauerbau noch annähernd 60.000 DDRler ihr Geld im Westteil der Stadt.

Dort war zwischen den zuständigen Senatsdienststellen und Arbeitgebern alles mit guter deutscher Gründlichkeit geregelt. Die im Westen arbeitenden Grenzgänger erhielten die Hälfte ihres Lohnes in West-Mark, den Rest bekamen sie in Ost-Währung ausgezahlt. Die Arbeitgeber mußten zum Ausgleich den entsprechenden Betrag in eine Lohnausgleichskasse abführen. Aus diesem Topf konnten sich die Grenzgänger, die in Ost-Berlin zur Arbeit gingen, ihren Lohn in Westgeld umtauschen lassen.

Am meisten profitierten die Berufspendler aus dem Osten: mit ihrem auf dem Schwarzmarkt eingetauschten Westgeld konnten sie nach Feierabend die Preise in den HO-Läden locker bezahlen. Im wesentlichen gab es zwei Gruppen von Grenzgängern, die im Westen jobbten, so der langjährige AEG -Betriebsratsvorsitzende Horst Jäckel: Da waren zum einen qualifizierte FacharbeiterInnen aus dem Osten, die auch nach der Teilung weiter Großbetrieben wie Siemens, AEG oder Osram die Treue hielten. Sie waren tariflich gleichgestellt und somit innerhalb der Belegschaften „sehr wohl gelitten“, erinnert sich Jäckel.

Erst als später vornehmlich jüngere Menschen vor allem in die Handels- und Dienstleistungsbereiche nachströmten, kamen dann bei den Westberliner ArbeitnehmerInnen allmählich Konkurrenzgefühle auf. Vor dem Hintergrund der hohen Arbeitslosigkeit versuchten vor allem Kleinbetriebe, die Löhne zu drücken. Nach Schätzung Jäckels zahlten Westberliner Arbeitgeber teilweise nur 65 bis 70 Prozent des damals üblichen Arbeitslohnes an die Grenzgänger aus dem Osten. So sei nach und nach ein „grauer Arbeitsmarkt“ entstanden.

Nach Angaben des damaligen Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen waren Grenzgänger schon seit 1952 ständiger Kritik und Schikanen seitens der DDR ausgesetzt. Auf diese Weise sollten die Systempendler zur „freiwilligen“ Aufgabe ihrer West-Arbeitsplätze gezwungen werden. Im Sommer 1961 griff man dann schließlich zu schärferen Maßnahmen: In Ost-Zeitungen wurden die Grenzgänger als „Verräter“ und Spekulanten beschimpft; vom Einkauf bestimmter Waren wurden sie ausgeschlossen. Ab dem 1.August 1961 mußten Grenzgänger dann die Miete für ihre Wohnungen in Pankow, Friedrichshain und Berlin Mitte sowie alle öffentlichen Gebühren in Westmark bezahlen.

Nach dem Mauerbau mußten viele von ihnen „zur Bewährung“ schlecht bezahlte körperliche Arbeit in sogenannten Schwerpunktbetrieben der DDR antreten. Andere wurden als „arbeitsscheu“ eingestuft und zur Arbeitserziehung in Haftarbeitslager eingewiesen.

thok/taz