Einige Unschärfen-betr.: "Der Fall der Mauer", taz vom 6.11.89 und "Die Lage der Nation", taz vom 9.11.89

betr.: „Der Fall der Mauer“,

taz vom 6.11. und „Die Lage der Nation“, taz vom 9.11.89

In den klugen Kommentaren K. Hartungs zur Situation in der DDR befinden sich einige wenige Unschärfen. So richtig es ist, daß die Menschen in der DDR „nicht durch Kapitalbesitz voneinander getrennt“ sind, „sondern nur durch Privilegien“, so muß es doch nicht stimmen, daß der „westliche Traum“, die Konkursmasse DDR zu übernehmen, „ausgeträumt“ ist. Warum würde sonst so stoisch der Ausreisewelle zugeschaut. Man muß nur am 8.11. im ARD-Fernsehen den Vertreter der Thyssen AG gesehen haben, der von der DDR lediglich Grundstücke verlangte, die Maschinen bringe Thyssen selbst mit. Daß der Vertreter der antifaschistischen Republik, Prof.Gerlach, dem nicht widersprach, zeigt die etwas desolate Lage drüben. Wir Geschichtskundigen erinnern uns, daß Fritz Thyssen die Eingabe vom November 1932 an Hindenburg zugunsten einer Regierungsbildung mit der NSDAP unterzeichnet hat. Es unterschrieben Bankiers, Industrielle und Großagrarier.

Außerdem meint Hartung, „die Wiedervereinigung gehört der Geschichte an“. Zuzustimmen ist ihm, daß im Augenblick „die DDR als selbständige staatliche Einheit“ verteidigt werden muß. Aber die demokratische Entwicklung in der DDR kann ein großer historischer Schritt auf ein Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten sein.

Erfreulich, daß die taz N.Birnbaum (8.11.) das Wort gab, demzufolge die deutsche Frage immer auf der Tagesordnung gestanden habe und stehe. So ist zu hoffen, daß die tabuisierte nationale Frage endlich offen diskutiert wird. Aber gerade wenn eine weitere Annäherung gewünscht wird, müßte die DDR-Staatsbürgerschaft anerkannt werden und: die Übersiedlungswünsche der DDR-Bürger sollten dem Asylrecht unterworfen werden.

R. Lederer, Bochum

Stimmt das, wenn Antje Vollmer von der „ersten selbsterkämpften Demokratie“ in Deutschland spricht? Sie vergißt die Novemberrevolution 1918, als die Demokratie noch mit Toten erkämpft wurde. War vor ihrer Zeit, na schön. Aber weshalb vertraut Klaus Hartung nun der DDR-Bevölkerung nicht etwas mehr beim Erkämpfen ihrer Demokratie? Will er wirklich Krenz und Kohl an einem Tisch sehen und einen Maßnahmenkatalog beschließen lassen? Mir graut bei der Vorstellung, wie die zwei dann wieder aufs bürokratischste hinter der Entwicklung herhecheln.

Nein, laßt doch die Leute auf der Straße ihre Vorstellungen durchsetzen; unsere PolitikerInnen sollten sich, wie am 9.11. im Bundestag, auf das Absingen der Nationalhymne beschränken, da richten sie am wenigsten Schaden an. Die Politik können wir den Hartungschen „Landräten, dem Grenzschutz und dem Roten Kreuz“ überlassen: Krisenmanagement machen die doch ganz gut; damit sollten wir uns bescheiden.

Georg Kempf, Köln 1