Reinhard Loske-betr.: "NRW-Grüne als radikalisierte Gewerkschaftspartei", taz vom 8.11.89

betr.: „NRW-Grüne als radikalisierte Gewerkschaftspartei“,

taz vom 8.11.89

Befremdlich mutet an, daß die Anmerkungen eines Mitglieds des Landesvorstands der Grünen NRW in der taz dokumentiert werden, die Inhalte und damit primär die landespolitische Erklärung, auf die sich Loskes Kritikversuche beziehen, aber der LeserInnenschaft vorenthalten bleiben. Argumente sucht Mensch vergeblich.

Statt dessen werden Bilder und Stimmungen beschworen. Die Vergewerkschaftung der Gesellschaft und eine linksradikal -gewerkschaftliche Pose der Grünen werden als Feindbilder aufgebaut, um dann das selbst geschaffene Zerrbild irgendwelcher TraditionssozialistInnen zu zerreißen. Leider sind deutsche Gewerkschaften nicht linksradikal, und auch der verfehlte Vergleich der LDK mit einem Gewerkschaftstag hilft meinem Vorstellungsvermögen wenig auf die Sprünge. Nur Insider können den Zusammenhang zu beschlossenen Positionen in Sachen Arbeitszeitverkürzung und Verbot von Importkohle herstellen.

Ein Satz stimmt mit Sicherheit in Loskes Pamphlet: Die grünen Delegierten sind für die von ihnen gefaßten Beschlüsse verantwortlich. Peinlich die folgende Delegiertenschelte von Loske mit der Unterstellung, sie wußten nicht, was sie taten. Derartige Entgleisungen sollte sich ein von eben diesen Delegierten gewähltes Vorstandsmitglied nicht leisten. Sie manövriert Loske selbst ins Abseits. (...)

Joachim Drell, Essen

Wenn Reinhard Loske auch einige Aspekte der Landesversammlung treffend beschreibt, so scheint mir doch der Gesamteindruck falsch eingefangen. Die Haltung der Delegiertenmehrheit wird zu Unrecht verunglimpft mit der Beschreibung: wenn sich schon in strategischen Fragen die Realpolitik durchgesetzt hat, müssen wir wengistens bei den Inhalten hart bleiben. Genau darin sollte tatsächlich die Kunst grüner PolitikerInnen bestehen. Selbstverständlich müssen Programmaussagen nicht nur diffuse Utopien wiederspiegeln, sondern auch konkrete Modelle vorstellen (im Sinne von „was wäre, wenn... wir zu sagen hätten“), die sich an der Realität messen lassen. Und natürlich gibt es da, wie bei der Energiepolitik, auch Fragen, die zum Beispiel in ökologischer Hinsicht keine einfache Lösung bieten. Daß die Grünen nun aber für mehrere Grundsätze stehen, von denen der der gesellschaftlichen Solidarität nicht gerade überrepräsentiert ist, kann nun wirklich nicht unter dem Begriff „Ökologie“ neutralisiert werden. Gerade in NRW haben die Grünen hier eine bisher sträflich vernachlässigte Aufgabe der Bündnisarbeit mit zum Beispiel Erwerbsloseninitiativen und auch und gerade Gewerkschaften zu leisten. Wem dabei der Stallgeruch nicht paßt, der muß halt mal selbst aktiv werden.

Richtig ist auch, daß die Realititätstüchtigkeit nicht in allen Programmpunkten gelungen ist. Stimmungsmäßig hat mich im Gegensatz zu Reinhard Loske allerdings eher erschreckt, wie weit einige NRW-Grüne mittlerweile in ihrer Anpassungsleistung gehen, die unter „Politikfähigkeit“ offenbar verstehen, eventuell mit der SPD auszuhandelnde Kompromisse bereits ins eigene Programm Einzug halten zu lassen. Das ist wirklich Realpolitik im schlechten Sinne. Einmal abgesehen von der taktischen Unsinnigkeit, sich einem Verhandlungspartner als Double vorzustellen, steht da die Frage an, was noch die eigene Identität ausmacht.

So sehr Umweltzerstörung und Militarismus uneingeschränkt alle Teile der Bevölkerung betreffen, und so sehr auch alles mit allem zusammenhängt: Die Grünen haben nur solange eine Daseinsberechtigung, wie sie auch und vor allem bestimmte Gruppen in der Bevölkerung vertreten, deren Rechte eingeschränkt sind: Die Frauen, die ImmigrantInnen, Kinder und Jugendliche, Behinderte, Erwerbslose, ArbeitnehmerInnen. Wer das vergißt oder sogar bewußt verdrängen will, leitet nach der Ablösung des stupiden Fundamentalismus eine neue morbide Eingleisigkeit ein. Doch auch da sei die grüne Gesamtrationalität davor.

Anke Schmidt, Bielefeld