Selbsternannter Embryonen-Retter läuft Amok

„Wie kann ein so freundlicher und sanfter Mann von hohem moralischem Charakter“, so fragte sich entgeistert die republikanische Abgeordnete Nancy Johnson, „nur den mittellosen Opfern von Vergewaltigung und Inzest das Recht auf Abtreibung verweigern, das allen anderen Frauen in unserer Gesellschaft gewährt wird?“ Nun, George Bush kann dies und noch einiges mehr. Seine Bereitschaft, sich als selbsternannter Retter von Amerikas Embryonen aufzuspielen, ist ausgeprägt. Und seine taktischen Schachzüge, die Einschränkung der in den USA seit 1973 bestehenden Abtreibungsfreiheit ausgerechnet auf dem Rücken der ärmsten und hilfsbedürftigsten Frauen auszutragen, scheinen keine moralischen Grenzen zu kennen.

Hätte Nancy Johnson einmal ihre republikanische Brille abgenommen, sie hätte längst erkannt, daß mit George Bush kein Mann „mit hohem moralischem Charakter“, sondern ein hemmungsloser Opportunist als politischer Gefangener der religiösen Fundamentalisten in die Privatsphäre US -amerikanischer Frauen hineinregiert.

Des Präsidenten Veto gegen die Mehrheitsentscheidung des Kongresses, nach acht Jahren endlich auch den mittellosen Opfern von Vergewaltigung und Inzest einen Schwangerschaftsabbruch auf Staatskosten zu gewähren, war nur der Beginn des frauenfeindlichen Kampfes um die ungeborenen Babys der Nation. Gleichzeitig erhob George Bush auch Einspruch gegen das Haushaltsbewilligungsgesetz für die Hauptstadt Washington, die im Gegensatz zu den Bundesstaaten ihren Etat direkt vom Bund zugewiesen bekommt. Der Grund: Die Stadtväter Washingtons hätten mit den Geldern die Abtreibungen hilfsbedürftiger Frauen finanziert, was Bush auf Bundesebene durch sein Veto im Kongress gerade untersagt hatte.

Zugeständnis

an die Anti-Abtreibungslobby

Da mit diesem Einspruch ausgerechnet in der Drogen-Kapitale Washington D.C. die Implementierung des noch im September großspurig verkündeten „Krieges gegen die Drogen“ verzögert wird, scheinen die Prioritäten der Bush-Administration klar: lieber noch ein paar Crack-Tote in den schwarzen Slumvierteln hinter dem Weißen Haus in Kauf nehmen als das fundamentalistische Gewissen mit der Subvention für die Abtreibung vergewaltigter Frauen belasten.

Am 1. November ließ die Bush-Administration dann das seit 20 Monaten geltende Verbot staatlicher Subventionen für die Verwendung des Gewebes abgetriebener Embryonen in der medizinischen Forschung verlängern. Zwar mag diese Art medizinischer Forschung aus den verschiedensten Gründen zweifelhaft sein; für George Bush gab es nur einen Grund, sich mit dem Verbot über die Empfehlung seiner medizinischen Berater hinwegzusetzen: Noch unschlüssige schwangere Frauen, so erklärte der Stellvertretende Gesundheitsminister James Mason die Entscheidung des Präsidenten, könnten sich aufgrund des potentiellen medizinischen Nutzens der Embryonen zu einer Abtreibung bewegen lassen.

Hinter diesem bei jährlich 1,6 Millionen Abtreibungen absurden Argument dürften denn auch weniger ethische Bedenken gestanden haben als vielmehr Bushs Wunsch, es sich mit der Abtreibungslobby im republikanischen Lager nicht zu verderben, die weiland Ronald Reagan zu dem Verbot veranlaßt hatte. Und noch ein präsidentielles Zugeständnis an die Anti -Abtreibungslobby steht bevor. Falls der Kongress wie zu erwartenden 15 Millionen Dollar für den „Bevölkerungs-Fonds“ der Vereinten Nationen bewilligt, wird George Bush auch hier sein Veto einlegen. Der Grund: Die Pro-Life-Lobby behauptet, die Mittel würden vor allem in China zur Bevölkerungskontrolle durch Abtreibung eingesetzt.

Abgerundet wird die Liste repressiver Maßnahmen zur politischen Unterminierung der Abtreibungsfreiheit durch einen Gewissenstest für die Top-Bürokraten in der Bush -Administration. Wo bisher Qualifikation und gewisse republikanische Neigungen ausreichten, muß sich jetzt jeder Bewerber um einen abtreibungsrelevanten Posten zunächst als überzeugter Gegner des Schwangerschaftsabbruchs ausweisen.

Das Erbe Reagans

lastet auf dem Präsidenten

Doch George Bushs fundamentalistischer Feldzug für das ungeborene Leben könnte leicht zu einem politischen Amoklauf gegen die Abtreibungsfreiheit werden. Spätestens seitdem in der vergangenen Woche bei Gouverneurs- und Bürgermeisterwahlen in zahlreichen Bundesstaaten der USA beinahe alle Pro-Life-Kandidaten der Republikaner verloren haben, müssen die Strategen der „Grand Old Party“ einsehen, daß sie die Situation draußen im Lande nach dem Abtreibungsurteil des Obersten Gerichtshofes im Sommer völlig falsch eingeschätzt haben.

Das Supreme Court, durch Ronald Reagans Ernennungspolitik in den 80er Jahren zu einem konservativ-reaktionären Orakel umfunktioniert, hatte mit seinem Urteil vom Juli das seit 1973 verfassungsmäßige Recht auf Abtreibung bestätigt, den Bundesstaaten jedoch die Möglichkeit zu massiven Einschränkungen dieses Grundrechts gegeben.

Doch der anfängliche Schock über die drohende Zurücknahme eines längst als selbstverständlich erachteten Rechts war für die Pro-Choice-Bewegung ein heilsamer. Binnen weniger Monate gelang es den Organisationen der Frauenbewegung, neben ihrem alten Stamm auch sonst unpolitische Frauen auf das drohende Ende ihrer reproduktiven Selbstbestimmung aufmerksam zu machen.

Niederlagen

für Abtreibungsgegner

Rechtzeitig zu den ersten Sitzungen der Parlamente in den Bundesstaaten war die Mobilisierung ihrer Lobbygruppen erfolgreich abgeschlossen. Im südlichen Bundesstaat Florida wurden im Oktober sämtliche Gesetzesvorlagen zur Einschränkung der Abtreibungsfreiheit - wie ein Abtreibungsverbot in staatlich subventionierten Hospitälern sowie nach der 20. Schwangerschaftswoche - abgelehnt. Floridas Gouverneur Martinez, der die Sondersitzung der Kammer einberufen hatte, gilt seit seiner Niederlage als politisch erledigt.

Auch in den Bundesstaaten Texas, Minnesota und Illinois gab es Niederlagen für die Abtreibungsgegner, die bisher nur in den in Sachen Abtreibung konservativen Staaten Pennsylvania, Michigan und Wisconsin Einschränkungen des Rechts auf Abtreibung durchsetzen konnten. Daß am letzten Dienstag in Virginia schließlich der schwarze Demokrat Doug Wilder trotz seiner Hautfarbe und allein aufgrund seiner Pro-Choice -Position mit den Stimmen zahlreicher republikanischer Frauen zum Gouverneur gewählt wurde, muß Präsident Bush unangenehm an einige wahlarithmetische Wahrheiten erinnert haben; verschiedene Umfragen hatten nämlich schon nach den Präsidentschaftswahlen im November 1988 ergeben, daß die Hälfte aller Bush-Wähler gegen eine Einschränkung der Abtreibungsfreiheit ist.

Was damals noch unter der Oberfläche blieb, hat jedoch seit dem Gerichtsurteil vom Juli politische Relevanz bekommen. Den Luxus, gegen die Abtreibungsfreiheit zu sein, ohne dafür politisch eintreten zu müssen - und damit Stimmen zu verlieren -, können sich George Bush und seine republikanischen Parteifreunde seitdem jedenfalls nicht mehr leisten.

Wenn sich der Präsident jetzt mit der eingangs beschriebenen Vehemenz auf die Seite der Abtreibungsgegner schlägt, dann nicht weil er in dieser Frage ein Überzeugungstäter ist. Ganz im Gegenteil: Um sich 1980 von seinem damaligen Konkurrenten um die republikanische Präsidentschaftskandidatur, Ronald Reagan, abzuheben, hatte Bush damals dem Magazin 'Rolling Stone‘ zur Legalisierung der Abtreibung im Jahre 1973 erklärt: „Ich denke, das war richtig.“ Doch zum erzloyalen Vize unter Präsident Reagan aufgestiegen, paßte Bush seine Meinung bald der herrschenden Lehre der „moral majority“ an.

Ohne „moral majority“

keine Wiederwahl

Nicht umsonst, denn jener religiös-fundamentalistische Flügel der republikanischen Partei war es acht Jahre später, der dem ohne natürliche Machtbasis in der Partei antretenden George Bush zur republikanischen Präsidentschaftskandidatur verhalf - ohne deren Unterstützung Bush im übrigen auch bei der nächsten Wahl in 1992 kaum wiedergewählt werden dürfte.

Wenn sich nach den jüngsten Wahlniederlagen nun in der republikanischen Partei vor allem weibliche Stimmen regen, die in Sachen Abtreibung eine Kursänderung fordern, dann signalisiert dies nichts anderes als den Zerfall der Reagan -Koalition aus Wirtschaftskonservativen und Religionskonservativen. Jetzt, wo die Bundesrichter das Abtreibungsproblem mit ihrem Urteil wieder in die politische Arena zurückverwiesen haben, wird deutlich, daß diese beiden Gruppen in der für sie lebenswichtigen Abtreibungsfrage völlig unterschiedliche Interessen und Positionen haben.

George Bush hat vor einem Jahr das Präsidentenamt als stolzer Erbe seines Vorgängers Ronald Reagan angetreten. Das Erbe Reagans - das Urteil des von ihm bestellten Obersten Gerichtshofes und die politische Penetranz seiner fundamentalistischen Steigbügelhalter - könnte Bush am Ende seine Wiederwahl kosten.

Rolf Paasch