„With a little help from my friends“ als Hymne

Rund 50.000 Menschen aus Ost und West beim „Konzert für Berlin“ / Seitenhiebe gegen den Kanzler  ■  Von Andrea Böhm

Berlin (taz) - Der Fall der Mauer hat nun auch Rockgeschichte gemacht. Ohne Gage spielten am Samstag Bands aus Ost und West - von BAP über Ulla Meinecke, Silly, Pankow, Nina Hagen, Rio Reiser bis zu den Toten Hosen - in der Westberliner Deutschlandhalle für das Publikum aus Ost und West. In einer konzertierten Aktion des Berliner Senats mit dem Sender Freies Berlin, der Messegesellschaft und Konzertagenturen hatte man innerhalb von zwei Tagen das „Konzert für Berlin“ aus dem Boden gestampft. Und der Einlaß in die Deutschlandhalle ging noch leichter vonstatten als die Einreise nach West-Berlin. Keine Karte, keine müde Mark welcher Währung auch immer verlangten die Ordner am Eingang. Alles war umsonst - auch die Supermarktketten hatten die Zeichen der Zeit erkannt: gegen Vorlage des DDR -Personalausweises wurden aus einem Laster Freßpakete gereicht.

In der Halle standen sie dann in Schlangen vor den Telefonzellen. Bevor es um zwei Uhr nachmittags losging, nochmal schnell drüben anrufen, damit die zu Hause ja auch alles glauben: Nicht nur der Westen ist live, sondern auch Udo Lindenberg, der gerade zum Bühneneingang schlurft. „Die sind alle so vernünftig“, wunderte sich die Garderobenfrau, die vom westlichen Publikum andere Sitten gewöhnt ist. „Kein Gedränge, alle stellen sie sich brav an.“ Beim Auftritt von Joe Cocker - extra aus Dänemark eingeflogen - war dann, zwei Stunden nach Konzertbeginn, der Saal rappelvoll, die Eingänge dicht. Rund 50.000 Menschen sind nach offiziellen Schätzungen im Laufe des Abends hinein-und wieder hinausgeschleust worden.Wer draußen bleiben mußte - und das waren Tausende - tanzte sich auf dem Platz vor dröhnenden Boxentürmen die Kälte aus dem Leib. Vom Deutschlandlied wollte keiner etwas wissen, die Hymne des Tages hieß „With a little help from my friends“. Jeder Song war an diesem Abend symbolträchtig - egal ob Joe Cocker „Unchain my heart“ krächzte oder Udo Lindenberg „Mädchen aus Ost-Berlin“ röhrte.

Selten hat ein Publikum so genau auf die Texte gehört - und auf die verbalen Seitenhiebe, die manche Musiker genüßlich gegen Wiedervereiniger und Nationalhymnensinger verteilten. „Wenn dieser Kanzler meint, er sei jetzt am Ziel seiner Politik“, sagte Konstantin Wecker während seines kurzen Auftritts in Anspielung auf eine Kohlsche Fehlleistung, „dann ist er am Ende seiner Politik.“ Tosender Beifall in der überfüllten Halle. Wer hier wem zu Füßen lag - das Publikum den Künstlern oder umgekehrt - ließ sich nicht mehr feststellen. „Die Leute hier sind wie ein Schwamm - die saugen alles auf“, staunte Konstantin Wecker hinter der Bühne.

Und noch einer genehmigte sich ein Bad in der Menge, allerdings ohne Begleitung der ebenfalls anwesenden AL -Senatorinnen Michaele Schreyer und Anne Klein: Walter Momper begrüßte „besonders die Konzertbesucher aus der DDR“. Eingerahmt von Lautsprechern, Mikrophonen und Schlagzeug zeigte sich der Regierende noch einmal ehrlich beeindruckt über die demokratische Kultur im anderen deutschen Staat und kritisierte die vielen, die nicht so recht begreifen wollten, daß man von der DDR jetzt einiges Lernen könne. Er verabschiedete sich unter rauschendem Beifall mit einem „Ihr macht das schon.“

Um zehn Uhr abends sollte Schluß sein, doch die Liste der Musiker, die auftreten wollten, wurde immer länger. Nena und die Drei Tornados kletterten auf die Bühne. Gegen halb eins wurde schließlich der Saft abgedreht, und die Leute machten sich auf den Weg - nach Kreuzberg, Friedrichshain, Pankow oder Spandau.