Endlich mit dem Fahrrad in die DDR

■ Nach mehreren vergeblichen Anläufen gibt Ost-Berlin jetzt sein Okay: Ab sofort mit dem Drahtesel über die Grenze / Bürgeriniativen sehen nach dem Chaos vom Wochenende Chance für verkehrspolitischen Wandel

Berlin (taz) - Was oft probiert und nie erreicht wurde, ist im Zeitalter der neuen Beweglichkeit plötzlich möglich: Ab sofort darf auch mit dem Fahrrad in die DDR und nach Ost -Berlin eingereist werden. Diese erfreuliche Mitteilung gab gestern Senatssprecher Werner Kolhoff bekannt. Alle Übergänge, die für Fußgänger zugelassen sind, stehen jetzt auch fürs Fahrrad offen. Motorräder und Mopeds können über die für Kraftfahrzeuge geöffneten Übergänge einreisen.

Berlins Regierender Walter Momper sprach von der Erfüllung eines „alten Wunsches für alle Berlinerinnen und Berliner“, die endlich mit dem „umweltfreundlichsten Verkehrsmittel unsere Umgebung besuchen können“.

Nähere Details über das Zustandekommen der Einreisemöglichkeit für Fahrräder konnte der Senat gestern noch nicht nennen. „Im Moment ist eben alles möglich“, schwärmte Senatssprecher Eggelstein. West-Berlin habe seit langem auf eine Fahrrad-Einreise gedrängt, dem habe die DDR jetzt entsprochen.

Begeisterung auch bei den Verkehrsbürgerinitiativen und Grünen Radlern. Stefan Lieb vom bundesweit organisierten Arbeitskreis Verkehr hatte gerade erst einen neuen Brief an Berlins Regierenden eingetütet, um nochmals einen Vorstoß für die Fahrrad-Einreise vorzuschlagen. „Das geht ja jetzt schneller als die Post“, freute sich Lieb über die neue Regelung.

Der AK Verkehr sieht nach dem faktischen Fall der „mittelalterlichen Stadtmauer Berlins“ und der nun offenen Grenze ohnehin eine auch verkehrspolitisch völlig neue Situation. Die Insellage Berlins sei Vergangenheit und jetzt müsse mächtig überlegt werden, wie die neue Verkehrssituation zu lösen ist, sagte Lieb der taz. Erstmals stelle sich für die „Mauer„-Stadt auch das Problem des Pendler- und Durchgangsverkehrs. Für Berlin sei dies nicht nur ein Problem, sondern auch eine Chance für umweltfreundliche Verkehrskonzepte und verkehrspolitische Utopien.

Am Kudamm sei an diesem Wochenende, so Lieb, eine alte Utopie in Erfüllung gegangen. Erst vor drei Monaten habe der Arbeitskreis Verkehr unter großem Gezeter der Öffentlichkeit vorgeschlagen, den Kudamm zu einem Bummelboulevard zu machen. Genau dazu sei er unter dem Ansturm der DDR-Besucher auch geworden.

Lieb setzte sich auch mit der völlig chaotischen Verkehrssituation am Wochenende auseinander, die im allgemeinen Freudentaumel allerdings von den meisten Bürgern toleriert worden war. Vollgeparkte Bürgersteige und Radwege in Hof, Lübeck und Berlin, Staus, stundenlange Wartenzeiten und der überall wahrnehmbare Abgasgestank, der vor allem in Berlin Smog-Ausmaße erreichte, begleiteten die deutsch -deutsche Euphorie. Lieb rief den Berliner Senat und alle Verkehrsinitiativen dazu auf, sich zusammenzusetzen und nach Konzepten zu suchen, um den Ansturm verkehrspolitisch besser zu bewältigen. Zugleich wandte er sich aber gegen Parolen wie „Menschen ja - Trabis nein“. Die Verkehrsprobleme dürften nicht allein aus westlicher Sichtweise angegangen werden. Die Arroganz von Katalysator fahrenden Westlern sei jetzt nicht gefragt.

Daß eine deutsch-deutsche Verkehrspolitik nicht mit Katalysatoren zu lösen ist, darauf hat auch der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club hingewiesen. In einem Aufruf an alle DDRler heißt es: „Kommt alle mit dem Rad. Die Entfernung von der Invalidenstrasse zum Zoo beträgt mit dem Rad nur zirka eine Viertelstunde.“ Der ADFC bietet den mit dem Fahrrad einreisenden DDR-Bürgern kostenlos sein volles Service -Programm und lädt sie an jedem Donnerstag zum Fahrradbasteln unter Anleitung von Fachleuten ein. Westberliner sollen dafür gebrauchte Fahrräder oder alte Fahrradteile zur Verfügung stellen.

Auch Umweltsenatorin Schreyer hat gestern die neue Fahrradregelung freudig begrüßt. Angesichts des rillengeprägten Kopfsteinpflasters in Ost-Berlin seien kräftige Hollandräder im Vorteil, empfahl Schreyers Sprecherin Sabine Daniel. Was die Trabi-Lawine angeht, soll, so Daniel, zunächst versucht werden, mit Informationsarbeit ein verstärktes Umsteigen auf öffentliche Verkehrsmittel und Fahrräder zu erreichen.

-man

Die SED und der Smog

Fünfmal während der vergangenen zwei Jahre hat das SED -Zentralkomitee die Entscheidung über eine Smog-Ordnung ausgesetzt. Entsprechende Entwürfe habe jeweils DDR -Umweltminister Hans Reichelt vorgelegt, meldete 'adn‘ am Montag. Bereits seit Mitte der 80er Jahre würden Smog -Meßdaten in der DDR erfaßt. Die langjährigen Vorbereitungen hätten jetzt die rasche Ausarbeitung einer Smog-Ordnung ermöglicht.