Neues Spiel ohne Grenzen: Planer spitzen Griffel

■ Die offenen Grenzen zwingen die Stadtplaner zum Umdenken / Schichauweg, Historisches Museum und M-Bahn stehen zur Disposition / U-Bahn- und S-Bahn-Pläne müssen neu orientiert werden / Über eine Million Kraftfahrzeuge in Ost- und West-Berlin

West-Berlins Stadtplaner müssen sich größere Zirkel anschaffen. Die neugewonnenen offenen Grenzen haben der Stadt über Nacht ein Umland verschafft, auf das sich die Stadtplanung plötzlich einstellen muß. In den Senatsverwaltungen und Parteien werden nicht nur neue Chancen diskutiert, sondern auch zahllose alte Projekte in Frage gestellt. Nicht nur der Grenzübergang Schichauweg, sondern auch das Deutsche Historische Museum (DHM) steht auf dem Prüfstand. Der Abriß der M-Bahn drängt sich geradezu auf, und über die Verschiebung einiger innerstädtischer U und S-Bahn-Baupläne wird bereits diskutiert.

„Natürlich“ müsse auch das DHM in Frage gestellt werden, bestätigte gestern Beate Profe, Referentin der AL-nahen Umweltsenatorin Schreyer. Karlheinz Wuthe, Schreyers Abteilungsleiter für Stadtplanung, erinnert daran, daß das Ostberliner Zeughaus schon seit Jahren ein Museum für deutsche Geschichte beherbergt. „Brauchen wir jetzt immer noch zwei davon?“ fragt sich der Stadtplaner. „Sehr schnell“ anbauen möchte er angesichts neuer Besucherströme auf dem Messegelände an der Jaffestraße. Aus der SPD kolportierte Zweifel, ob die Buga weiterhin Sinn mache, kann man in der Umweltverwaltung dagegen nicht verstehen. Schließlich habe sogar Ostberlins Oberbürgermeister Krack bei einem kurzen Gespräch mit Schreyer auf dem Potsdamer Platz am Sonntag Interesse an den Buga-Plänen gezeigt.

Schreyer will im Zentralen Bereich rund um den Tiergarten nun allerdings auch Dienstleistungseinrichtungen, Bürogebäude und andere zentrale Einrichtungen ansiedeln. Wuthe verweist auf die „ganz konkreten Pläne“ der Baufirma Held & Francke, ein „World Trade Center“ hochzuziehen. „Wohnungen sind hier nicht vordringlich“, befindet der Abteilungsleiter. „Vom Prinzip her“ begrüßte auch der Sprecher von Wirtschaftssenator Mitzscherling, Heinze, gestern diese Idee; erstaunt war er nur, solche Vorschläge gerade aus einer AL-Behörde zu hören. Reserviert gegenüber diesen Plänen zeigte sich hingegen Günther Fuderholz, Planungsreferent im Hause von Bausenator Nagel; schließlich hatte der Bausenator gegen Schreyers hinhaltenden Widerstand eben erst seinen Plan durchgesetzt, rund um den Tiergarten 4.000 Wohnungen zu bauen.

Der Magnetbahn, seit jeher auf Abruf gebaut, geht es jetzt wohl endgültig an den Kragen. „Sie steht schlichtweg im Wege“, konstatiert Lothar Stock, der persönliche Referent von Finanzsenator Meisner. Zwischen den Bahnhöfen Kemperplatz und Bernburger Straße steht sie Buga- und Bauplänen im Wege. Und zwischen Bernburger Straße und Gleisdreieck blockiert sie eine vor 28 Jahren aufgegebene U -Bahn-Trasse, die früher einmal das Herzstück des Berliner U -Bahn-Netzes war: Die Verbindung vom Wittenbergplatz über die Hochbahnstationen Nollendorfplatz, Bülowstraße und Gleisdreieck, die sich kurz vor dem Potsdamer Platz wieder in den Untergrund schlängelte und über die früher die Züge von der Krummen Lanke in Zehlendorf bis nach Pankow oder Friedrichsfelde rauschten. Diese Strecke könnte weitaus rascher reaktiviert werden als die Verlängerung der U-1 über die Oberbaumbrücke zum ehemaligen Endbahnhof Warschauer Brücke, schätzt man in der BVG. 200 Millionen Mark veranschlagt man für die U-1-Verlängerung; das alte U-Bahn -Herzstück, das City (West) und Stadtmitte (Ost) verknüpfen würde, käme wahrscheinlich billiger und ließe sich sicher schneller wieder in Betrieb nehmen, heißt es unisono in der Verkehrs- und der Finanzverwaltung.

Neues auf der S-Bahn soll aus dem Osten kommen. Sowohl Verkehrssenator Wagner als auch Finanzsenator Meisner plädieren nun dafür, die Ringbahn von Osten her stufenweise wieder in Betrieb zu nehmen. Der Nordring könnte dann zunächst vom Bahnhof Schönhauser Allee im Bezirk Prenzlauer Berg zum Umsteigebahnhof Gesundbrunnen im Westen verlängert werden. Wagner und Meisner fordern zusätzliche Mittel aus Bonn, um den Schienenverkehr neu aufzubauen. Meisners Referent Stock will allerdings auch nicht ausschließen, daß neue Prioritäten auf Kosten anderer Projekte gesetzt weden müssen. Disponibel seien die S-6 nach Lichterfelde-Süd und die U-Bahn-Verlängerungen nach Lankwitz-Kirche und ins Märkische Viertel.

Wie wenig vorbereitet die Senatsbehörden auf die neue Situation sind, erfuhr der taz-Rechercheur, als er wissen wollte, wieviele Autos eigentlich in Ost-Berlin gemeldet sind. Selbst in der Verkehrsverwaltung mußte man die Zahlen extra suchen: 1987 waren es demnach circa 400.000 Kraftfahrzeuge aller Arten, Motorräder und LKWs eingeschlossen (West-Berlin: 750 000). Die PKW-Zahl nimmt sich mit 260.000 (West-Berlin: 660.000) etwas bescheidener aus. „Auf gar keinen Fall“ dürfe die Stadt angesichts über einer Million Auspufftöpfe auf das Auto setzen, warnen Stadtplaner. Ob die 300 Millionen Mark, die in Bonn für den umstrittenenen Autobahnübergang Schichauweg bereit liegen, an dieser Stelle wirklich noch gut ausgegeben sind, das fragen sich neben Schreyer mittlerweile auch Wagner und Meisner. Dieses Projekt, so bestätigt Stock, „steht zur Disposition“.

hmt