Abwahl des Kolonialismus

■ In Namibia verfehlte die Swapo ihr Ziel einer Zweidrittelmehrheit auch wegen Foltervorwürfen

Mit erstaunlicher Gelassenheit haben die NamibianerInnen diese Woche das getan, worauf sie lange, sehr lange warten mußten: sie wählten ab. Den Kolonialismus. Gewonnen hat bei diesen Wahlen zur Unabhängigkeit der letzten Kolonie Afrikas die Swapo. Gesiegt hat das Stammesprinzip. Wie auch soll sich eine seit 75 Jahren als Kolonie von Südafrika beherrschte Gesellschaft „befreien“? Nicht einzig jedenfalls mit einem „freien und fairen“ Urnengang. Die Swapo suchte mit dem Konzept der „nationalen Versöhnung“ neue Wege zu gehen. Sie wurde dabei Opfer der alten Verhältnisse: Nicht nur wurde das weiße Swapo-Mitglied Anton Lubowski auf offener Straße von rechtsradikalen Weißen Wölfen ermordet. Hätte die Befreiungsbewegung nicht 80 Prozent der Stimmen des Ovambo-Stammes erhalten, ihr landesweiter Schnitt hätte sich enorm verschlechtert.

Doch die Swapo ist auch Täter. Zur Transformation einer nach den Prinzipien des Bürgerkrieges hierarchisch strukturierten Befreiungsbewegung hin zu einer Partei mit demokratischem Selbstverständnis gehört Vergangenheitsbewältigung. Dem hat sich die Swapo nicht gestellt. Daß auch der Befreier Verbrechen beging, interne Kritiker folterte oder paranoid als südafrikanische Spione verfolgte, hat das Vertrauen vieler erschüttert. Man kann nur hoffen, daß die Partei sich bald mit den blinden Flecken ihrer eigenen Geschichte öffentlich auseinandersetzt. Die Swapo wird als erstes versuchen, mit verschiedenen kleinen Parteien Koalitionen einzugehen, um die für eine Verfassungsänderung nötige Zweidrittelmehrheit zu erreichen. Sie wird auch mit der zweitstärksten Partei, der von Südafrika favorisierten DTA, den Dialog üben müssen. Das Land steht vor immensen sozialen und wirtschaftlichen Problemen.

Seinen Unabhängigkeitsprozeß verdankt Namibia in erster Linie dem Näherrücken der Supermächte bei der Lösung von Regionalkonflikten und der militärischen Niederlage der Südafrikaner gegen kubanische Truppen in Angola, und nicht etwa irgendeiner Einsicht seitens des Regimes in Pretoria. Im Gegenteil: Freie Wahlen wie in Namibia oder in Simbabwe sind bedrohlicher „grand design“ für die Situation in Südafrika selbst. Das Regime dort wird weiter großes Interesse daran haben, das Modell Namibia scheitern zu lassen. Mittel und Wege dazu gibt es genug. Namibia hat zwar gewählt. Ob dem Land die Wahl gelassen wird, bleibt zu hoffen.

Andrea Seibel