Kontroverse über Deutschlandpolitik

Walter Momper kritisiert Parteifreunde: Alte CDU-Konzepte werden aus der Tasche geholt / Ablehnung der Forderung nach sofortigen freien Wahlen in der DDR / Heide Pfarr warnt vor Destabilisierung der DDR  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

Als Beweis der „Lebhaftigkeit der Diskussion“ innerhalb der Sozialdemokraten hat die Parteisprecherin Dagmar Wiebusch die Kritik des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Walter Momper, an den deutschlandpolitischen Vorstellungen seiner Parteifreunde gewertet. Momper hatte im 'Spiegel‘ kritisiert, „manche tun so, als ob die Wiedervereinigung unmittelbar vor der Tür steht“. „Einige haben Rezepte aus der Tasche geholt, die an die CDU-Politik der 50er Jahre erinnerten“, sagte er mit dem Hinweis, daß in der DDR -Opposition die Wiedervereinigung kein Gesprächsthema sei. Er habe mit „Entsetzen auch festgestellt, daß die Sensibilität für die Vorgänge im Osten um so geringer wird, je weiter man von Berlin oder Helmstedt entfernt ist“.

SPD-Chef Vogel wich in einer Stellungnahme zur Kritik Mompers aus. Er verwies gestern lediglich auf den Beschluß des SPD-Präsidiums bei der Sondersitzung des Gremiums vom vergangenen Samstag. Darin ist von Wiedervereinigung nicht die Rede; verwiesen wird darauf, daß trotz der Mauer „das Gefühl der Zusammengehörigkeit geblieben ist“. Weiter wird darin die Notwendigkeit eines „runden Tisches“ in der BRD betont und ein Zusammentreten der von Kohl und Honecker 1987 vereinbarten deutsch-deutschen Wirtschaftskommission gefordert. Walter Momper war bei dieser Sitzung des SPD -Präsidiums nicht anwesend. Parteisprecherin Wiebusch betonte aber, Momper habe auf dieser Sitzung viel Lob erfahren. Unter anderem sei gesagt worden, Momper handhabe die Situation in Berlin nach Öffnung der Mauer mit „traumwandlerischer Sicherheit“.

Unterschiedliche Meinungen gibt es in der SPD auch in der Frage, wann freie Wahlen in der DDR stattfinden sollten. Willy Brandt meinte am Montag, es sollten „nicht zu viele Monate“ vergehen, bis ein neues Parlament gewählt werde. Dem widersprach die Berliner Bundessenatorin Heide Pfarr auf einer Diskussionsveranstaltung in der Berliner Landesvertretung am Montag abend in Bonn. In bezug auf die Bundesregierung sagte Heide Pfarr, es würden Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Hilfe für die DDR „falsch benannt“. Freie Wahlen jetzt durchführen zu wollen, wäre „verheerend“ für die oppositionellen Kräfte in der DDR, denen die programmatischen und organsiatorischen Vorausetzungen fehlten. Freie Wahlen würden jetzt nur zur „Destabilisierung nach innen beitragen“, erklärte Frau Pfarr. Sie sprach auch von dem „verheerenden Eindruck“ in der DDR, als der Bundestag nach der Maueröffnung die Nationalhymne sang. Am Absingen hatten sich auch die Sozialdemokraten beteiligt.