piwik no script img

Hier spricht man Deutsch!

■ Pessimismus in der Nixdorf-Belegschaft: 80 Prozent sehen ihre Arbeitsplätze gefährdet / Nixdorf-Betriebsräte berichten über die zunehmende Ausländerfeindlichkeit am Arbeitsplatz und die Angst vor der billigen DDR-Konkurrenz

Dicke Luft herrscht derzeit bei der Nixdorf Computer AG. Die von der Geschäftsleitung ständig propagierte Unternehmensphilosophie „Wir gehören doch alle zur Nixdorffamilie“ findet in der Belegschaft keinen Widerhall mehr. Eine kürzlich vom Betriebsrat durchgeführte Umfrage unter 300 Betriebsangehörigen spricht eine deutliche Sprache: 90 Prozent der Belegschaft sieht die Zukunft der Nixdorf Computer AG unklar oder pessimistisch. 80 Prozent sehen ihren Arbeitsplatz als unsicher oder gefährdet an.

Der Pessimismus der Belegschaft ist nicht unbegründet. Mit dem Versprechen, 6.000 Arbeitsplätze zu schaffen, trat Nixdorf vor fünf Jahren mit großem publizistischem Aufwand in Berlin an. Allerdings kam das Unternehmen nie über eine Belegschaft von 2.700 Beschäftigten hinaus. Heute sind es schlappe 2.000. Und weiterhin werden Mitarbeiter mit Hilfe von Auflösungsverträgen entlassen.

Am wenigsten zu lachen haben in dieser Zeit allgemeiner Verunsicherung die ausländischen Kollegen des Betriebs. Immer öfter werden sie Opfer verbaler Übergriffe ihrer deutschen Arbeitskollegen. Ein Interview mit dem Betriebsratsvorsitzenden Udo Böhnke und dem Betriebsrat Erol Eren gibt die Stimmung im Betrieb wieder.

taz: Seit fünf Jahren beobachten Sie die zunehmende Ausländerfeindlichkeit im Betrieb. Wie hat sie sich entwickelt?

Udo Böhnke: Latent war sie schon immer vorhanden. Zum Tragen kommt sie vor allem dann, wenn die Lohnverhandlungen und die Leistungsverteilungsgespräche geführt werden. Die Leistung wird in Punkten von null bis acht ausgedrückt. Und da fühlen sich die ausländischen Kollegen oft unterbewertet. Sie bekommen im Grunde genommen auch weniger an Punktzahl. Drängt sich nun ein ausländischer Kollege ein bißchen in den Vordergrund, wird er von deutschen Kollegen ziemlich massiv angegangen. Seit dem Erstarken der „Republikaner“ versuchen sich die Ausländer im Betrieb zurückzuhalten, weil sie spüren, da baut sich etwas auf, das man nicht noch fördern möchte.

Erol Eren: Ja, in den letzten Monaten haben viele Deutsche ihr wahres Gesicht gezeigt und schimpfen jetzt offen über die Ausländer. Bei mir hat sich ein Mißtrauen gegenüber deutschen Kollegen eingeschlichen, und ich frage mich oft: Denkt der jetzt auch, daß ich als Ausländer seinen Arbeitsplatz wegnehme?

Es gibt eine Empfehlung der Geschäftsleitung, innerhalb des Betriebs nur Deutsch zu sprechen?

Böhnke: Die alte Geschäftsleitung hat stark darauf geachtet, daß Deutsch gesprochen wird. Es gab deshalb derbe Auseinandersetzungen. Zunächst war die Verpflichtung im Betrieb Deutsch zu sprechen, als Anweisung gedacht. Nachdem der Betriebsrat kräftig dagegen protestierte, war es nur noch eine Bitte. Aber dennoch ist die Stimmung im Betrieb: Hier spricht man Deutsch! Durchgesetzt wird das durch Vorgesetzte, die die ausländischen Kollegen massiv angehen, wenn sie sich in ihren Landessprachen unterhalten.

Eren: Wenn wir uns türkisch unterhalten, schauen uns die deutschen Kollegen sofort schräg an. Es bilden sich in den Arbeitspausen immer mehr Gettos. Da sitzen die Türken, dort die Deutschen. Im Gegensatz zu früher ist jede Gruppe stärker in sich zurückgezogen.

Wie reagiert die Geschäftsleitung auf diese Entwicklung?

Eren: Ich glaube, sie nimmt es nicht so wichtig. Es gab eine Sitzung, auf der die Probleme unter den Gruppen zur Sprache kamen. Die Geschäftsleitung redete den Leuten ein, es gebe im Betrieb keine Türken, Araber, Polen oder sonst jemanden, sondern nur Nixdorfer. Damit wurde das Problem abgebügelt.

Gab es schon Kündigungen aufgrund der Ausländerfeindlichkeit?

Böhnke: Ja, diese Fälle gibt es. Vorige Woche erst kam ein türkischer Kollege zu uns und sagte, er habe die Schnauze voll. Er kommt nicht mehr klar, hat einen Auflösungsvertrag gemacht und geht.

Eren: In einem anderen Fall hat ein türkischer Kollege im Lager die Arbeit hingeworfen und ist gegangen. Es war ihm zuviel. Er hat wie ein Verrückter gearbeitet, und der Vorgesetzte hat ihn dennoch immer wieder dumm angemacht. Da in dieser Gruppe nur zwei Ausländer arbeiteten, kam von jeder Seite Druck.

Böhnke: Wenn zwischen Deutschen und Ausländern ein freundschaftliches Verhalten besteht, wird das oft von Kollegen kommentiert, die nicht so denken. In dieser Situation kommt es darauf an, wie stark der deutsche Kollege ist und wie er zu dieser Freundschaft steht. Es gibt natürlich einige, die halten den Druck nicht aus und distanzieren sich von den ausländischen Kollegen. Andere, die dem Druck standhalten, werden oft aus der Gruppe der Deutschen ausgegrenzt und haben dann den Wunsch, in einer anderen Gruppe zu arbeiten.

Gibt es Befürchtungen, daß die Geschäftsleitung nach der Öffnung der DDR-Grenzen das billige Arbeitskräftepotential aus der DDR in ihre Tarif- und Personalpolitik mit einbezieht?

Böhnke: Wir machen uns da keine Illusionen. Man wird auf die billigen Arbeitskräfte zurückgreifen, wenn sie auf dem Markt sind. Das wird Nixdorf genauso tun wie die anderen Unternehmen auch. Wir werden uns in den nächsten Monaten mit haarsträubenden Sachen auseinandersetzen müssen. Das wird mit Sicherheit schon bei den anstehenden Tarifauseinandersetzungen eine Rolle spielen. Auch bei der Diskussion um die 35-Stunden-Woche. In der Vergangenheit hat man uns in den Tarifverhandlungen die Konkurrenz aus Japan, Asien und den Billiglohnländern Europas vorgehalten, und das wird nun auch mit der DDR und mit Polen geschehen. Wir haben schon Angst, daß die Lohnpolitik auf dieser Ebene geführt wird.

Interview: Eberhard Seidel-Pielen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen