Studentenpalaver zwischen Ost und West

■ Erstes Treffen zwischen Ost- und West-Berliner StudentInnen auf private Initiative an der FU / Fortsetzungstreffen sind geplant

Das Papier fühlt sich merwürdig an, das Schriftbild ist brüchig, und oben in der Ecke prangt eine Art Kartoffelstempel, klarer Fall: Ein Ost-Flugi! „Wir haben auch schon auf Klopapier geschrieben“, korrigiert ein Student der Humboldt-Uni die Maßstäbe zu Recht. Es ist Montag abend in der FU-Rostlaube, wo sich mehrere hundert StudentInnen aus Ost- und West-Berlin zu einem ersten gemeinsamen Palaver trafen.

Auf großes Interesse stießen die Berichte über die Selbstorganisation der Ost-Studis: An den Hochschulen sollen StudentInnenräte gewählt werden, die später über ein Informationsnetzwerk, die Autonome Studentenunion (ASU) verbunden werden sollen. Der Widerstand von oben „wird immer kleiner“, wie eine Studentin berichtete, und die Basis zieht mit: von den 8.000 StudentInnen der Humboldt-Universität nahmen rund 5.000 an einer Urabstimmung darüber teil, ob der Studentenrat das bisherige gesetzlich verbriefte Alleinvertretungsrecht der FDJ ablösen solle. Achtzig Prozent waren dafür - einstweilen. Denn im Trubel der letzten Tage verschleppte sich die Auszählung und ist noch immer nicht abgeschlossen.

Die Forderungen der Ost-Studis gleichen zum großen Teil denen ihrer westlichen KommilitonInnen, etwa nach der Förderung benachteiligter Gruppen, nach Wohnheimen, Jobs und vernünftiger Verpflegung. Andere Probleme sind DDR -spezifisch, so die Befreiung vom Wehr- und Zivilverteidigungsdienst, die Offenlegung der Hochschulfinanzen oder freie Uni-Zeitungen. Wieder anderes wird hüben und drüben gefordert, drüben aber etwas bescheidener gesehen, etwa die Hochschulautonomie. Ein Student (Ost) zur Begriffsbestimmung: „Wir sind der Meinung, daß Polizei auf dem Universitätsgelände nichts zu suchen hat.“ Soweit reichte der Konsens allemal, doch die Ost -Studis setzen ungewohnte Akzente. So verstehen sie ihre ASU nicht in erster Linie als eine politische Organisation, sondern als eine Art Gewerkschaft, deren Klientel sie als die soziale Gruppe der StudentInnen und deren Organisationen definieren - unabhängig von ihrer ideologisch -politischen Ausrichtung.

West-Verwunderung gab es auch über das etwas formalistische Vorgehen der Ost-Studis, und umgekehrt über die allgegenwärtige Geschlechterquotierung. Doch derlei Eigenheiten konnte einstweilen im Raume stehenbleiben. Die Atmosphäre war aufgeräumt, vielleicht sogar noch toleranter als sonst in der FU: ein Student (West), der sich verplapperte und umgehend niedergeblökt wurde, erhielt von einem Kommilitonen (Ost) prompt Schützenhilfe. Pragmatisch auch das Ende der Veranstaltung: Sie ging fließend in eine Adressentauschbörse über - die Ost-Studis zeigten dabei keinerlei Scheu -, und das Mikrofon übernahmen StudentInnen, die nach FachkollegInnen aus der jeweils anderen Hälfte der Stadt suchten. In einer Woche, so hieß es, wolle man sich wieder treffen. Eher zufällig war bereits das Zustandekommen der ganzen Versammlung. Der AStA kopierte zwar Stunden vor dem Beginn noch einige Plakate, aber Initiator war der Wirtschaftsstudent (West) Hansjörg R. Er hatte am Freitag nach CDU-Kundgebung, Fackeln und Nationalhymne ein „beklemmendes Gefühl“ bekommen und spontan vor einer SFB -Kamera zu dem Treffen aufgerufen. Hätte man ihm einen Augenblick mehr Zeit gelassen, hätte er gern hinzugefügt: „Gegen Nationalismus“.

Marc Werner