Ungeschützter Besucherverkehr

■ Autofreies Wochenende in Berlin und anderswo!

Am Freitag beginnt die zweite Runde im neuen deutsch -deutschen Getümmel. Schon wird gemeinsam mit Papa Momper spekuliert, ob Berlin (West) denn groß genug ist, um eine schlappe Million Besucher aufzunehmen. Klar ist, daß am zweiten Wochenende nach der November-Revolution noch mehr kommen werden. All jene, die sich beim ersten Mal noch nicht getraut haben und alle, die das Erlebnis wiederholen möchten, dazu rudelweise westdeutsche Touristen, um „DDRler anzugucken“, die Öffnung des symbolträchtigen Brandenburger Tores zu beklatschen oder ganz einfach, um mitzufeiern. Berlin (und Lübeck und Hof und...) wird rappelvoll.

Mit den DDR-Besuchern werden erneut einige hunderttausend Exemplare des „Autos des Jahres“ mit blauem Abgas-Fähnlein gen Westen zuckeln und - nach Kräften stinken. Die Trabi -Invasion ist angesichts des allgemeinen Deliriums bisher toleriert worden. Doch in den Wintermonaten mit Inversionswetterlagen und dem bekannten Berliner Smog könnte diese Stimmung bald umschlagen und das Zweitaktergemisch schnell explosiv werden. Vollgeparkte Bürgersteige und Radwege, ruinierte Nerven, Kopfschmerzen und Keuchhusten sind auf Dauer selbst mit den kühnsten deutschlandpolitischen Visionen nicht zu überdecken. Dennoch: Der Trabi ist kein Problem, sondern eine Chance.

Was in der neuen Fußgängerzone Kudamm letztes Wochenende ausprobiert wurde, muß schleunigst auf ganz Berlin und auf andere Städte ausgedehnt werden: Autofrei, abgasfrei, streßfrei. Ungeschützer Besucherverkehr ohne Plastik und Blech. Noch nie waren die Chancen für grenzüberschreitende verkehrspolitische Utopien und autofreie Wochenenden so günstig, aber noch nie waren Umweltschützer und Ökologen so kleinlaut. Man muß sich die autofreie Fiesta in Berlin nur mal vorstellen: Verbrüderungen und Verschwesterungen auf offener Straße, Feiern ohne Gasmaske, High-life in allen Gassen und ein auf Trab (i) gebrachter öffentlicher Nahverkehr.

Zu Honeckers Zeiten hat West-Berlin immer wieder den fehlenden Smogalarm und ökologische Ignoranz im Osten eingeklagt. Nach der Öffnung der Grenzen darf im Zeitalter der neuen Beweglichkeit und allgemeiner Euphorie die Ökologie nicht hinten runterfallen. Also: Schafft ein, zwei, viele Massenparkplätze, Begrüßungsgeld gegen Abgabe der Autoschlüssel, und dann autofrei für Ost und West. Merke: Der Berliner Ost-West-Gipfel ist noch steigerungsfähig.

Manfred Kriener