Ausgefeatured

Zur Reaktion der DDR-Opposition auf die Maueröffnung  ■ K O M M E N T A R E

Ausgefeatured: das ist ein Terminus aus der Mediendemokratie. In der von Massenmedien beherrschten Demokratie geht es weniger darum, einen politischen Gegner zu widerlegen, als vielmehr ihm den Primat des Bildes abzujagen. Insofern erscheint die SED als Sieger der Stunde. Maueröffnung, Umbau des Staatsapparates, Parteireinigung, Gesetzesprojekte beherrschen die Schlagzeilen und werden sie weiterhin beherrschen. Die Reaktion der Opposition war erschreckend. Daß sie von den Ereignissen überrollt wurde, ist ihr gewiß nicht vorzuwerfen. Daß sie aber als wichtigste Botschaft nur die Klage herüberbrachte, die Öffnung der Mauer sei verfrüht; daß sie sich sofort als Opfer jener SED-Flucht nach vorn darstellte, machte einen nachgerade verheerenden Eindruck. Selbst wenn die Öffnung der Mauer vom Politbüro als Ventil benutzt wurde, dann war es ein Sieg der Massen und ihrer Forderung nach Freiheit jetzt. Die Öffnung ist gewiß für den organisatorischen Zeitplan der Opposition zu früh, aber andererseits - um Biermann zu zitieren - kommt Freiheit nie verfrüht.

Die geradezu pessimistischen Äußerungen von Oppositionsvertretern sind gewiß verständlich. Es ist die tödliche Angst, daß die SED wieder die Initiative zurückgewinnen könne, und damit die Chance zu einem Rückschlag. Sie entspringen auch aus der Dynamik der Zeit: Die Opposition, die noch vor einem Monat im illegalen Raum die ersten organisatorischen Schritte probierte, ist an die Spitze der Öffentlichkeit und der Massenbewegung geschleudert worden. Dennoch: Das Theorem des Zu-früh ist im Kern sektiererisch. Sektiererisch ist es, Organisationsentwicklung mit Massenbewegung oder gar mit der geschichtlichen Tendenz zu identifizieren. Die Institutionalisierung des Neuen Forums oder anderer Oppositionsgruppen kann nur ein Moment in dem kulturrevolutionären Umsturz der DDR-Gesellschaft sein. Auch wenn jetzt für die Opposition die ganze Chronologie der programmatischen und organisatorischen Arbeit über den Haufen geworfen wird, dann ist das noch immer ein Sieg der Massen. Sektiererisch ist es auch, in den jetzigen Manövern des Politbüros einen Generalplan der SED zu sehen, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen. Erstens hat die einmal in Gang gesetzte Dialektik des Massenprozesses die SED erfaßt. Zum andern gibt es die SED nicht mehr, sondern mindestens drei Parteien unter einem Namen: eine Bewegung von unten, eine Apparat-Überlebens-Partei, zusammengesetzt aus wirklichen Reformern und Wendehälsen, und den immer noch intakten Repressionsapparat. Wenn die Opposition politsch mächtig bleiben will, muß sie sich auch in den Zersetzungsprozeß der SED einschalten. Sich abzuschirmen, um die Organisationsentwicklung zu sichern, wäre der falscheste Schritt in diesem Moment.

Klaus Hartung