Schichtweise und unterirdisch

Von der D(eutschen) D(emokratischen) R(epublik) in die B(unker) R(epublik) D(rängelland): Der Großteil der knappen Viertelmillion Übersiedler lebt unter ziemlich beschissenen Umständen - auch wenn zusätzliche Not- und Reservelager in Erwartung eines neuerlichen Übersiedleransturms am vergangenen Wochenende bereitgestellt wurden, die mangels Masse letztlich doch nicht benötigt wurden; so z.B. zwei Atombunker in Frankfurt.

Wieviele DDR-Bürger inzwischen schon zurückgekehrt sind sei es wegen der unerträglichen Wohnsituation oder neuer politischer Perspektiven - läßt sich derzeit nicht genau bestimmen. Wenn jemand sein bisheriges Lager verläßt, dann wird an keiner Stelle registriert, ob sie oder er irgendwo privat unterkommt, in ein anderes Bundesland reist oder wieder über die Grenze geht. Weder Bundesgrenzschutz noch Rotes Kreuz führen darüber Zahlen - politische Absicht oder nicht. In Bayern sind in 68 Erstaufnahmelagern des Bundesgrenzschutzes derzeit rund 5.000 und in 537 Übergangswohnheimen und Beherbergungsbetrieben rund 33.000 Übersiedler untergebracht. In der überfüllten Hofer Freiheitshalle beispielsweise ist Schlafen in Schichten angesagt. Noch weniger anheimelnd dürfte das Wohnen in den unterirdischen Krankenhäusern in Roding und Parsberg in der Oberpfalz ausfallen, die am Wochenende mehrere hundert Leute aufnahmen.

In Nordrhein-Westfalen sind derzeit 18.000 Übersiedler registriert, aber die Landesregierung schätzt die Zahl von ehemaligen DDRlern, die dort im Laufe dieses Jahres unterkamen, auf rund 35.000. Die Arbeitslosenquote unter ihnen ist beträchtlich: 21 Prozent laut Bundesanstalt für Arbeit. Neben den üblichen Lagern dürfen sich die Übersiedler auch auf acht gerade neu angemieteten Hotelschiffen mit insgesamt 1.000 Plätzen auf dem Rhein verschaukeln lassen.

Die rund 5.000 DDR-Bürger in Hamburg leben in leerstehenden Krankenhausgebäuden, im ehemaligen Puff „Palais d'Amour“ auf der Reeperbahn, in einer Turnhalle mit doppelstöckigen Betten, auf Campingplätzen mitten im Schlamm und in zwei leeren Schulgebäuden. Ende November soll ein erstes Pavillondorf bezugsfertig sein, und im Freihafen wird ein Marinestützpunkt für die Unterbringung vorbereitet. Der Bremer Sozialsenator Henning Scherf verkündete gar schon für drei Tage einen Aufnahmestopp, da die Hansestadt aus allen Nähten platze - er wurde aufgehoben, nachdem die Bundeswehr mehrere hundert Plätze in einer Kaserne und einer Marineschule in Bremerhaven freigeräumt hatte. Nicht auszuschließen ist, daß ein vor wenigen Tagen probebeheizter Atombunker in Betrieb genommen werden muß.

West-Berlin hofft noch auf einen Umschwung durch die neue DDR-Reiseregelung. 20 Prozent der in Turnhallen Untergebrachten sind laut Sozialsenatorin Stahmer wieder verschwunden. Dennoch hat sich der Übersiedlerstrom seit dem Wochenende wieder verstärkt: 7.500 sind neu eingetroffen. In den Messehallen sind sie in Kästen, die nach oben offen sind und an Bienenwaben erinnern, untergebracht, oder auch in Fertigteilunterkünften, einem Teppichlager, Containersiedlungen und Heimen. In Unterkünften, in denen auch Asylbewerber und Aussiedler leben, hat sich eine aggressive Hierarchie herausgebildet: Ganz oben stehen die legal aus der DDR Ausgereisten, dann die über Ungarn Geflüchteten, gefolgt von den Polen und denen aus anderen Ländern, die um so mehr diskriminiert werden, je dunkler die Hautfarbe ist.

Ute Scheub