Auf dem holprigen Weg zurück

■ Die DDR bereitet sich auf die Rückkehr ihrer BürgerInnen vor / Nicht alle jedoch werden freudig umarmt

Die Rückkehrer sind im Anmarsch. Unterbringungs- und Versorgungsprobleme beschäftigen ab jetzt auch die DDR. Trotzdem hat sich in West-Berlin die Situation in den Notunterkünften verschärft. Indes stehen viele Ausgebürgerte weiterhin draußen vor der Tür. Und auch die linke Szene West -Berlins kämpft mit Einreiseverbot.

Inzwischen gehört es auch zum Alltag an der Grenzübergangsstelle Gudow/Zarrentin, im Norden beider Republiken, daß DDR-Menschen ohne längere Wartezeiten gen Schleswig-Holstein und Hamburg entlassen werden. „Gute Reise“, so der freundliche Gruß des DDR-Grenzbeamten unisono, untermalt von einem netten Lächeln. Gleich hinter dem Kontrollpunkt steht neuerdings ein grünes Zelt des Roten Kreuzes der DDR, eingerichtet für Leute, die wieder in ihre Heimat zurückkehren wollen.

Doch eine Besichtigung ist nicht möglich. „Das werden Sie sicher verstehen. Das wäre auch international nicht üblich, auf dem Gelände der Grenzabfertigungsstellen Interviews zu führen“, erklärt der Beamte auf internationalem Niveau. Dann eben nicht, es hätte sich womöglich nicht gelohnt. Trabis, Wartburgs oder Ladas warten vor dem Zelt jedenfalls nicht.

Nach Meinung von Hans Kock, seit 20 Jahren Betreuer junger DDR-Flüchtlinge und -Umsiedler beim Hamburger CVJM, ist das auch kein Wunder. „Das dauert sicher noch länger, ehe wirklich Leute wieder zurückgehen. So ganz trauen die dem Frieden immer noch nicht.“ Ohnedies sei es auch nur eine bestimmte Personengruppe, die wieder in die DDR zurückkehren werde, so Kock: „die Älteren“. Diejenigen also, die Hals über Kopf abgehauen sind und nach wenigen Wochen realistisch einschätzen, daß ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik mehr als ungünstig sind. Aber die Jungen, glaubt der Mittfünfziger, die werden weiterhin ausreisen wollen. „Und das ist doch auch ganz normal. Junge Leute wollen die Welt sehen, nicht immer nur ihr eigenes Land.“

Auf den Hamburger Campingplätzen und Wohnschiffen, auf denen die Ausgereisten vorläufig untergebracht wurden, ist von einer DDR-Nostalgie wenig zu spüren. „Lieber würde ich unter den Elbbrücken schlafen, als wieder rüberzugehen“, beteuert Brigitte Theil (ehemals Gera). „Die Wirtschaft bei uns ist so kaputt, daß es sich einfach nicht lohnt.“ Die 54jährige Köchin ist allerdings erst zwei Wochen in Hamburg.

Auch andere, die erst kürzlich in die Bundesrepublik gekommen sind, schwören bei ihrem Leben, daß nichts sie zurückholen könnte. „Was soll ich denn mit meiner alten Wohnung? Die war so feucht und dunkel, die haben selbst die Mäuse nicht zu betreten gewagt.“ Die Angebote der DDR -Behörden, ohne Schimpf und Schande, ausgerüstet mit dem zurückgegebenen Hab und Gut wieder zurückkehren zu können, fruchten vorläufig wenig.

Hamburgs Sozialbehörde kann jedenfalls keine genauen Angaben über das Ausmaß der Rückkehrwilligen machen. „Aber wenn sich auf den Campingplätzen eine größere Rückreisewelle ergeben würde, würden wir das schnell merken.“ Wiebke Meyer -Columbe vom Deutschen Roten Kreuz in Hamburg hat bislang 20 Anfragen auf die Möglichkeit der Rückkehr registriert.

„Ich gehe aber davon aus, daß die meisten noch gar nicht wissen, daß sie kein Fegefeuer in ihrer alten Heimat erwartet.“ Hamburgs Behörden vertrauen auf die Langzeitwirkung der DDR-Offerte. Denn noch mehr DDR -Umsiedler oder Aussiedler aus anderen osteuropäischen Ländern kann die Hansestadt nicht verkraften.

Der Winter bricht demnächst an. Ein Sonderprogramm für die vielen Obdachlosen der reichsten Metropole in der Europäischen Gemeinschaft ist noch nicht verabschiedet worden.

„Ich wäre froh, wenn viele zurückkehren würden“, bekennt Brigitte Eberle, Pressesprecherin der Sozialbehörde. Stefan Parow aus Eisenhüttenstadt, seit wenigen Tagen als Kraftfahrer in Hamburg tätig, weiß genau, wer wieder in die DDR zurückkehrt: „Das sind doch die Arbeitsscheuen, die hier erst merken, daß sie sich nicht auf dem Arbeitslosengeld ausruhen können.“

Keine Welle

Von einer Rücksiedlungswelle könne nicht gesprochen werden, meint der freundliche Beamte des Bundesgrenzschutzes am Übergang Herleshausen/Wartha. Im Gegenteil: Maximal zehn ehemalige DDR-bürgerInnen am Tag würden ihren Bundespersonalausweis hier abgeben und wieder in der DDR leben wollen. Und da könne man ja doch sicherlich nicht von einer Welle sprechen. Die Sprecherin des hessischen Sozialministeriums bestätigt die Angaben des Grenzschützers. Nur in „minimalstem Umfang“ würden Rücksiedlungswillige ehemalige DDR-BürgerInnen registriert - „meist Existenzen, die im Westen gescheitert sind“.

So fand sich denn auch gestern vormittag auf der viel frequentierten Raststätte Herleshausen - 400 Meter vor dem Grenzübergang - nur ein einziger vollgepackter Wartburg ohne DDR-Hoheitskennzeichen. Seine Insassen, ein Ehepaar aus Gotha, waren tatsächlich Rücksiedler. Doch gescheitert am Westen sei man nicht, wie der 40jährige Elektriker bei einer letzten Tasse Jacobs-Kaffee in der Raststätte versichterte. Er habe im Gegenteil eine Prima Arbeit in Aussicht gehabt, und bei Verwandten in Kassel habe man auch vorerst wohnen können. Doch seine Frau, die habe in der Fremde „gelitten wie ein Tier“. Die Verwandten zu Hause, die FreundInnen und vor allem die Eltern, mit denen man in Gotha Tür an Tür gelebt habe, hätte ihr in der Bundesrepublik niemand ersetzen können: „Heimweh - mit Politik hat das nichts zu tun“. Die Frau selbst sagt kein Wort.

Ansonsten rollt die Trabi- und Wartburgwelle noch immer über die Grenze. Die DDR-Touristen überschwemmen die grenznahen Städte wie Bad Hersfeld und Herleshausen, und viele lassen sich auch auf das Abenteuer Bundesautobahn ein: Kassel- Frankfurt -Wiesbaden.

Um dem anhaltenden Ansturm gerecht werden zu können, wurde wenige Kilometer unterhalb des bisher einzigen Übergangs eine neue Lücke in die Grenzanlagen geschlagen. Über eine seit Kriegsende gesperrte Kreisstraße, die inzwischen von Moos und Gräsern überwuchtert ist, rollt jetzt hier der Grenzverkehr.

Der Bundesgrenzschutz hat mit Zelten eine provisorische Grenzstation aufgebaut, an der es auch das erste Westgeschenk gibt: ein Gutschein für eine Tasse Jacobs -Kaffee an einer Raststätte der Bundesrepublik.

Jan Feddersen/ Klaus-Peter Klingelschmit