Lovely Brandenburg Gate

■ Ist das Brandenburger Tor seit heute offen? / Eine Heerschar von Fernsehanstalten rangelt um den besten Platz beim bevorstehenden historischen Moment / Seit gestern ist auch „Die aktuelle Kamera“ angerückt

Berlin (taz) - „Vielleicht ist es heute Nacht schon passiert?“ „Nein, da läuft erst einmal gar nichts.“ „Doch, die Information ist 100 Prozent hart“, britische Militär -Quellen, absolut sicher! Vielleicht klafft heute früh tatsächlich ein breites Loch in der Mauer am symbolträchtigsten Ort Berlins, am Brandenburger Tor. Vielleicht sind längst schon die ersten durch das 20 Meter hohe Säulenportal nach Osten geschritten und die Berliner Gerüchteküchte will sogar, daß dieser erste Michail Gorbatschow höchstselbst ist, mindestens aber der britische Außenminister Douglas Hurd, der heute auf Berlinbesuch weilt.

Vielleicht aber ist das prominenteste Stück Mauer noch immer un(auf)gebrochen, die begehrteste Malfläche für Graffitti-Künstler und Polit-Agitatoren noch nicht zerteilt. Sicher ist nur, daß - wenn es denn passiert - kein Fingerbreit dieser spektakulären Ost-West-Öffnung der Weltöffentlichkeit entgeht. Kamera an Kamera warten hier seit Tagen mehr oder minder gelangweilte Fernsehteams aus aller Welt auf den historischen Moment. Wohnmobil an Ü-Wagen haben sie sich hier mit Schlafsack, Zahnbürste und Mikrofon einquartiert, um keinen einzigen Zentimeter hinter der Konkurrenz hinterher zu hinken. Die Kamera direkt am Volk, haben NBC, ZDF, SAT oder Nippon TV „The Brandenburg Gate“ längst rundum verkabelt. Und seit gestern sind auf der Ost -Seite auch die Kollegen von der „Aktuellen Kamera“ aufgefahren.

Was naive Beobachter als erstes Indiz bevorstehender Abrißarbeiten werten, zwei riesige Kräne nämlich, wissen Eingeweihte längst als Zubehör der Fernsehschaffenden einzuordnen. In regelmäßigen Abständen hieven diese Kräne auf der Westseite des Brandenburger Tores kleine Fernsehstudios in die Höhe und Trenchcoat-Moderatoren hauchen in luftiger Höhe atemlose Kommentare in windgeschützte Mikrofone - im Rücken die berühmte „Quadriga“ auf den Säulenpaaren des „Brandenburg Gates“ und einen freundlich lächelnden Grenzpolizisten auf der Mauer. Auf einer improvisierten TV-Bühne posieren die ersten Models für ein Modemagazin und ganze Schulklassen spielen „Grepos ärgern“. „Bitte nicht auf die Mauer steigen!“ mahnt eine Lautsprecherstimme aus dem Westen, wo eine Gruppe von angesoffenen Jugendlichen „Action, Action!“ fordert. Immer noch sind Hunderte von Souvenirjägern auf der Jagd noch kleinen Mauerbröckchen, doch samtliche kleinen Ritzen sind schon leergefegt. Einige hämmern etwas verschämt an dem bemalten Bauwerk herum, doch Patrouillen der Westberliner Polizei sind auf der Jagd nach Denkmalsschändern und kassieren kurzerhand Hämmerchen und Meißel ein. Vor Jahren noch, als Kennedy hier das Brandenburger Tor als Kulisse für seinen Berlinbesuch benutzte, verhängte die Ostseite mit roten Fahnen den Blick durchs Mauerwerk. Als Reagan im letzten Jahr seinen Auftritt hatte, mußte die Mauer neu übertüncht werden, um ihm die gesprühte Aufforderung „piss off!“ zu ersparen. Heute kann man - vielleicht - schon problemlos von der „Straße des 17. Juni“ zu „Unter den Linden“ gehen.

Ve.