DDR-Schulden doppelt so hoch wie angenommen

Verbindlichkeiten im Westen übersteigen nach taz-Informationen Guthaben um 21 Milliarden Dollar / Bisherige Annahmen: 10,6 Milliarden / Krenz strich Zahlen aus dem Manuskript für seine Volkskammerrede  ■  Von M. Rediske und U. Kulke

Berlin (taz) - Die Auslandsverschuldung der DDR ist nach Informationen der taz wesentlich höher als bisher angenommen. Die Nettoverschuldung, also die Differenz zwischen der Kreditaufnahme und den Guthaben in westlichen Währungen, beträgt danach umgerechnet 21 Milliarden US -Dollar. Dies ist rund das Doppelte des Betrages, von dem beispielsweise das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW, Berlin) zuletzt ausgegangen war (10,6 Milliarden).

Ursprünglich wollte Generalsekretär Egon Krenz vor dem Zentralkomitee am vergangenen Dienstag die neue Zahl auf den Tisch legen. Zwei voneinander unabhängige Quellen bestätigten gegenüber der taz, daß die Zahl von 21 Milliarden in seinem Redemanuskript ursprünglich enthalten war, beim „gesprochenen Wort“ jedoch keine Erwähnung mehr fand. Auch bei der Erschreckendes enthüllenden Sitzung der Volkskammer am Montag abend blieb die Höhe der Auslandsverschuldung vor den Parlamentsabgeordneten „Geheimsache“.

Westliche Forscher konnten sich mangels Angaben aus der DDR immer nur auf Daten der Bank für Internationalen Handelsausgleich (BIZ, Basel) stützen, bei der die Geschäftsbanken ihre Kreditvergabe melden. Einige Kreditinstitute verweigern die Angaben, unter anderem solche aus dem arabischen Raum, wo sich die DDR bisweilen mit Krediten eindeckte.

Die DDR hatte aufgrund der bisherigen Annahmen und stets pünktlicher Kreditbedienung in der internationalen Bankenwelt als „guter“ Schuldner gegolten. In der Rangliste der Solvenz steht sie auf Platz 28. Die DDR-Expertin des DIW Doris Cornelsen geht davon aus, daß auch die neuen Daten die Kreditwürdigkeit der DDR nicht dramatisch erschüttern, da sie in der internationalen Schuldnerszene (USA: 500 Milliarden Dollar; Brasilien: 112 Milliarden, jeweils netto) sich noch recht harmlos ausnähmen. Mißtrauen entstehe zwar stets, wenn verheimlichte Zahlen herauskämen. Andererseits geht die Forscherin davon aus, daß die Aussicht auf Reformen die Bonität des Landes eher erhöhe.

Intern ist der DDR-Haushalt nach neuer offizieller Lesart mit 130 Milliarden Ost-Mark verschuldet. Das sind 45 Prozent des „Nationaleinkommens“. Die 898 Milliarden Schulden der öffentlichen Hand der BRD entsprechen etwa 42 Prozent des halbwegs vergleichbaren „Bruttosozialproduktes“.

Bemerkenswert an der Außenverschuldung des Landes ist das relativ hohe Guthabenpolster auf der anderen Seite: offiziell gut neun Milliarden Dollar. Rein wirtschaftlich macht dies keinen Sinn, weil die Differenz zwischen Soll und Habenzinsen die DDR viele Devisen kosten. Es wäre günstiger, mit den Guthaben die Schulden zu tilgen. DDR -Experte Peter Plötz vom Hamburger HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung begründet die hohen Guthaben denn auch mit politischen Motiven. 1981 war die DDR unverschuldet zum Opfer der außenwirtschaftlichen Krisen Polens und Rumäniens geworden. Die westlichen Banken beschränkten gegenüber allen Ostblockstaaten, also auch gegenüber der relativ stabilen DDR, die Kreditvergabe. Nur mit ungeheurem Kraftaufwand, vor allem auf Kosten der Konsumgüterimporte, und durch Ausweitung entsprechender Exporte erreichte die DDR damals eine nachhaltige Sanierung ihrer Außenhandelsbilanz und ihrer Devisenpolster, um die einstige Kreditwürdigkeit wiederherzustellen.

Der Mangel an westlicher Währung tangiert auch auch die Reisemöglichkeiten ihrer Bürger in Hartwährungsländer. Unterdessen machen sich - auch westdeutsche - Politiker zur Lösung dieser Frage konkretere Gedanken. Nach Ansicht des SPD-Bundestagsabgeordneten Norbert Gansel sollten die DDR -Bürger pro Jahr in bundesrepublikanischen Banken 500 Ost -Mark in D-Mark zum Kurs von 1:1 umtauschen dürfen. Über die Bundesbank solle die Bonner Regierung die dabei anfallenden rund sieben bis acht Milliarden Ost-Mark garantiert ankaufen (ebenfalls 1:1) und damit dann Projekte in der DDR finanzieren, zum Beispiel die Entsalzung von Werra und Elbe. Gleichzeitig sollte das „Begrüßungsgeld“ von 100 D-Mark wegfallen, das zu „unwürdigen“ Bedingungen führe, und die DDR solle bei Besuchen aus dem Westen keinen Zwangsumtausch mehr erheben. NRW-Ministerpräsident Rau forderte ebenfalls, Zwangsumtausch und Begrüßungsgeld abzuschaffen und beides durch eine „Pauschalregelung“ zwischen Bonn und Ost-Berlin zu ersetzen. Die Berliner Bundessenatorin Heide Pfarr sprach davon, daß die BRD bei der DDR Schulden in Höhe von 22 Milliarden D-Mark habe, da die DDR allein die Reparationen an die UdSSR bezahlt habe.