Ereignisgeil

Da stehen sie seit Tagen schon, bei Wind und Wetter, des Tags und des Nachts, die Medienvertreter aus aller Herren Länder. Zu Dutzenden haben sie ihre Kameras aufgebaut, einem Ereignis auf die Sprünge zu helfen, das der dramaturgische Höhepunkt der Wende in der DDR wäre: der Fall der Mauer vor dem Brandenburger Tor.

Die Journaille dieser Welt, sie schaut auf diese Stadt, nein, auf ein kleines Stück Mauer, das zwar stark angeknabbert ist, aber nicht fallen will. Sie starren und berichten so, als wollten sie das Ereignis herbeireden, herbeisenden. Zumindest Klaus Peter Siegloch vom ZDF ist das schon ein wenig unheimlich, wenn er die Veranwortlichkeit der Journalisten anmahnt.

Die Medien und ihre Macher, so geht die Rede, sie schaffen die Ereignisse, über die sie berichten. Dieser Vorwurf an die schreibende und sendende Zunft, er scheint in diesen Tagen in Berlin Realität zu werden, wären da nicht unsere Brüder und Schwestern in der DDR. Sie verweigern sich und machen keine Anstalten, schweres Baumaterial heranzukarren, das für den Abbruch nötig wäre. Fast könnte man froh sein darüber, daß es da noch welche gibt, die sich der Medienmacht nicht beugen. Denn wenn es richtig ist, was die Grenzpolizei am Donnerstag früh bekanntgab, daß auch in den nächsten Tagen sich an den Grenzanlagen nichts ändert, dann braucht Hans Joachim Friedrichs nicht mehr eigens in das vernebelte Leipzig zu jetten, um von dort die Tagesthemen zu moderieren. Das angestrahlte Brandenburger Tor eignet sich für seine Moderation als Background ohnehin besser als diese dämliche Tür, vor der er am Montag in Leipzig stand, die hätte ebenso im Hamburger Studio stehen können.

Bleibt zu hoffen, daß die Genossen im Osten in den nächsten Tagen auch noch einen Schnellkurs in Sachen Marketing und Public Relation absolvieren, denn ein Ion Tiriac - er vermarktet Boris Becker -, der würde den Fall der Mauer vor dem Brandenburger Tor schon so in Szene setzen, daß da einige Millionen Valuta herausspringen. Man stelle sich einfach mal vor: die weltweiten Übertragungsrechte in seiner Hand. ABC bietet für die Exklusivrechte 100 Millionen Dollar, 'Bild‘ kriegt für die Hälfte die Geschichte der Abriß-Combo der NVA unter Vertrag, und der 'Stern‘ darf die Tagebücher des Mauer-Architekten publizieren. Egon wäre doch schön blöd, wenn er diese symbolische Handlung so dir nichts mir nichts in einer Nacht- und Nebelaktion vergeben würde, schließlich stehen doch Wahlen vor der Tür.

Karl-Heinz Stamm