Täglich Tag ein kleines Wunder

■ Plötzlich klappt die Zusammenarbeit zwischen dem deutschen Fernsehen-West und -Ost

Das war schon eine kleine Sensation, als am vergangenen Sonntag Peter Hirz, der Leiter des ARD-Presseclubs seine Gäste in die DDR-Fernsehstudios nach Adlershof einlud. Aus aktuellem Anlaß war man eine Woche vorher beim Kölner WDR auf diese Idee gekommen und hatte sich sofort mit dem DDR -Fernsehen in Verbindung gesetzt - per Telex, denn die telefonische Ost-West-Kommunikation ist ja seit der Wende wegen chronischer Überlastung der Leitungen nahezu unmöglich geworden. Ohne schriftliche Zusage, aber im mündlichen Einvernehmen mit den DDR-Kollegen hatte die ARD -Nachrichtenredaktion den Sprung ins kalte Wasser gewagt. Am Donnerstag abend geschah dann das Unfaßbare, die Grenzen wurden geöffnet, und bis zum sonntäglichen ARD -Pressegespräch waren bereits so viele unglaubliche Bilder aus Ost und West über die Mattscheibe geflimmert, daß die Presseclub-Übertragung aus den DDR-Studios schon fast selbstverständlich schien.

Seitdem geschieht im Fernsehalltag-Ost und -West täglich ein kleines Wunder. Der stellvertretende Chefredakteur der Aktuellen Kamera, Manfred Pohl, wird kurzfristig von Jürgen Engert interviewt. Unter Kollegen wünscht man sich für die Zukunft gute Zusammenarbeit. Die ARD überträgt live die Wahlen in der DDR-Volkskammer (als Übernahme des DDR -Fernsehens), ein DDR-Team macht speziell für Brennpunkt eine Reportage über die „Genossen“ der NVA und vorgestern gar wurde eine komplette Sendung des DDR-Fernsehens im Ersten wiederholt. Der Beitrag „Ist Leipzig noch zu retten?“ hatte wegen seiner schonungslosen Offenheit für soviel Aufsehen gesorgt, daß beide öffentlich-rechtlichen Anstalten brennendes Interesse am Ankauf hegten. Den Zuschlag erhielt letzlich die Degeto, die Einkaufsgesellschaft der ARD, nach einer für DDR-Verhältnisse sagenhaft kurzen Entscheidungsphase von nur fünf Tagen. Da waren die ZDF -Leute dann doch ein bißchen neidisch.

„Die Kollegen vom DDR-Fernsehen sind ungeheuer eifrig, technisch klappt die Zusammenarbeit bereits gut“, lobt Hirz nach seinem Auftritt in Adlershof. Es herrsche ein kollegialer Ton, und alle zeigten ein hohes Engagement. Bei der Kooperation seien viele bürokratische Hürden plötzlich gefallen. Trotzdem hat er den Eindruck, daß die DDR -Journalisten immer noch „an der kurzen Leine geführt werden“. „Kathedralen“ möchte er auf die neue Offenheit der DDR-Medien noch nicht bauen.

Immerhin findet man bei der ARD das DDR-Fernsehen jetzt so wichtig, daß die Beiträge der Aktuellen Kamera bei der morgentlichen Schaltkonferenz mit zugespielt werden. Das ZDF zeichnet das komplette DDR-Programm bislang lediglich im Ost -Berliner Studio auf, um bei Bedarf daraus einzelne Schnipsel in den Nachrichtensendungen zu bringen. Jedoch guckt man auch dort jetzt viel genauer hin. Eine ständige Übernahmeregelung für Sendungen wie beispielsweise der hervorragenden, neu eingerichteten Kontext-Reihe ist bisher weder bei der ARD noch im ZDF geplant. „Das wird auch in Zukunft nach jounalistischen Kriterien entschieden“, meint Peter Voß, zuständig für Aktuelles im ZDF. Er persönlich würde es begrüßen, wenn die DDR-Programme ins bundesdeutsche Kabelnetz eingespeist würden. Im ZDF liefe man bei zuviel DDR-Berichterstattung, etwa mehrstündige Live -Mitschnitte, Gefahr, „künstlichen Überdruß“ zu erzeugen. Nichtsdestotrotz hält auch er das DDR-Fernsehen momentan für das spannendste Medium.

Eine Einspeisung ins Kabelnetz ist indes bislang noch nicht in Sicht. Dafür müßte die DDR jährlich runde 12 Millionen Mark (West) hinblättern, womit angesichts der notorischen Devisenknappheit nicht zu rechnen ist. Ein deutsch-deutscher Medienverbund via Satellit und Kabel käme momentan nur dann zustande, wenn die Bundesregierung bereit wäre, die Kosten zu übernehmen. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Vorschlag des WDR-Intendanten Nowottny, statt des geplanten deutsch-französischen Kulturkanals, ein ohnehin ohne rechte Leidenschaft vorangetriebenes Projekt, einen deutsch -deutschen Kanal einzurichten.

Doch dieses Vorhaben hilft der Hälfte aller Fernsehhaushalte, den unverkabelten nämlich, auch nicht weiter. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten sollten die jetzige Situation als einmalige Chance begreifen. Denn in der DDR-Berichterstattung sind sie den Privaten um Längen voraus. Während sie schon ihre festen Korrespondentenplätze in Ost-Berlin haben, bereitwillig Unterstützung vom DDR -Fernsehen erhalten und ohne weiteres ihren Hajo Friedrichs oder Ruprecht Eser von Leipzig oder Dresden aus moderieren lassen können, bereitet der Osten RTL plus und Sat 1 noch immer Probleme. So sieht man in deren Nachrichtensendungen zwar auch Live-Schaltungen, aber nur aus Berlin-West. Für Berichte aus der DDR müssen sie weitgehend auf Ausschnitte aus der Aktuellen Kamera oder auf Argenturangebote zurückgreifen. Bis Sat 1-Blick vom Alex aus moderiert wird, das wird noch ein Weilchen dauern.

Ute Thon