Fang Lizhis China im Umbruch

■ Texte und Reden von „Chinas Sacharow“, dem Bürgerrechtler und Astrophysiker Fang Lizhi / Der Vordenker der Demokratiebewegung hat nach dem Massaker in Peking Zuflucht in der amerikanischen Botschaft gefunden

„Ein solches Verhalten gibt es doch in der ganzen Welt nicht, sie haben die Menschen ja wirklich in Scharen hingeschlachtet! Und da sie nun mit dem Töten einmal angefangen haben, können sie das Massaker nur sehr schwer wieder einstellen. Das Ergebnis auf lange Sicht ist aber, daß sie nur ihr eigenes Ende beschleunigt haben. Alle haben jetzt dieses Regime durchschaut. Für Chinas zukünftige Entwicklung ist das eine Lehre von grundlegendem Gewicht. Die demokratische Bewegung hat diesmal ohne Zweifel eine brutale Niederlage erlitten. Aber diese Niederlage trägt in sich bereits die Keime einer neuen, noch größeren Entwicklung.„

Als der chinesische Astrophysiker Fang Lizhi diesen Kommentar dem Chefredakteur des Hongkonger 'Jiefang' -Magazins diktierte, waren die Stunden seiner Bewegungsfreiheit gezählt. Es war der Vormittag des 4.Juni 1989. Wenige Stunden nach dem Massaker an den Teilnehmern der Demokratiebewegung auf dem Pekinger Platz des Himmlichen Friedens. Etwa 1.400 friedliche Demonstranten wurden niedergemetzelt. Fang, der chinesische Sacharow, wie er in den westlichen Medien auch genannt wurde, ist einer der Ziehväter jener Demokratiebewegung. Jetzt lebt er in der US -amerikanischen Botschaft in Peking - als Gefangener des Geistes der Unterdrückung, den er jahrelang aufs heftigste kritisiert hat.

Doch die Reden und Essays, die der Bochumer Sinologe Helmut Martin jetzt von Fang herausgegeben hat, zeigen in dem Physiker und Menschenrechtskämpfer nicht nur einen mutigen Gegner der KP-Herrschaft in China. Die Auswahl der Texte bestätigt auch die Brillanz seiner Analysen bereits in der Vergangenheit und verdeutlicht, wie wichtig er für die Demokratiebewegung in China ist und welchen Mut er den Studenten in den zurückliegenden Jahren gemacht haben muß.

Gleichzeitig zeigt die Zusammenstellung die Grenzen dieser Bewegung auf, das Machtmonopol der Kommunistischen Partei. Sollte es einen echten gesellschaftlichen Fortschritt im Reich der Mitte geben, dann muß dieses als erstes fallen, hatte Fang schon vor Jahren eingeklagt. Die Tragik der Ereignisse vom Mai und Juni zeigt deshalb auch die persönliche Dimension des Schicksals dieses Mannes auf.

Fangs Lebensweg verlief vom Wunderkind über den Vorzeige -Physiker zum Regimegegner. Das KP-Mitglied Fang Lizhi nahm nie ein Blatt vor den Mund. Das brachte ihn bereits 1957 in der Kampagne gegen Rechtsabweichler das Stigma des „rechten Elements“ ein. In der Kulturrevolution verbrachte er ein Jahr im Gefängnis. Als jedoch Deng Xiaopings Wirtschaftsreform vielen chinesischen Intellektuellen zum ersten Mal in ihrem Leben Luft zum Atmen verschaffte, überwarf sich Fang vollends mit der Partei. Es war die Zeit, als der wieder rehabilitierte Fang ins Ausland zu Vortragsreisen fahren durfte, unter anderem auch in die Bundesrepublik Deutschland.

Und dieses für ihn fremde Land mit der damals noch undurchlässigen Mauer lieferte auch den ersten Aufhänger für seine gesellschaftskritischen Vorträge vor Studenten zu Hause, die letztlich 1987 zu seinem KP-Rauswurf führen sollten. Denn nach seiner ersten Deutschlandreise zu einem Symposium über Relativitätsphysik 1978 in München hatten ihn Kollegen und Studenten in China um einen Bericht über Gesellschaft und Wissenschaft in der BRD gebeten, berichtet Fang in dem in China im Umbruch mitabgedruckten „ursprünglich geplanten Vorwort“ zur deutschen Ausgabe.

In den folgenden Jahren gelingt es Fang als Vize-Rektor an Chinas größter Technischer Universität in Hefei, in seinen Vorträgen die Kernpunkte der intellektuellen Revolte in China („Demokratie“ und „Wissenschaft“) wieder zusammenzubringen. Wie für alle intellektuellen Wortführer Chinas in diesem Jahrhundert ist die Forderung nach Wissenschaftlichkeit für Fang eine Abkehr von Feudalismus, Nepotismus und das Einklagen von Versachlichung der politischen Diskussion, von Demokratie, Anerkennung der Menschenrechte sowie der Rede- und Pressefreiheit.

Die Reden, die den Hauptteil des Buches bestimmen, stammen aus den Jahren 1985/86 und bildeten sicherlich einen Teil des intellektuellen Nährbodens für die Studentendemonstrationen vom Dezember 1986 und Januar 1987. Schon damals machte Fang klar, daß 40 Jahre Einparteienherrschaft der chinesischen Volksrepublik seiner Überzeugung nach keine bedeutenden Fortschritte beschert haben. „Im internationalen Vergleich stehen wir mit einem bestimmten Staat auf gleicher Stufe: dem Tschad. Der Tschad bildet das Schlußlicht der Weltwirtschaft“, lautet eine seiner provozierenden Analysen, die gerade die alte Garde aus den Tagen des Langen Marsches zur Weißglut reizen mußte.

Was Fang gegen die Regentschaft der KPCh setzt, ist ein westliches Politikkonzept für die asiatische Großmacht. Seine Vorbilder sind die sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten in Schweden und in den Niederlanden. Vom Westen lernen heißt für Fang Lizhi, Mehrparteiensystem und Gewaltenteilung zu verwirklichen.

So rühmlich der Ansatz des Bochumer Sinologieprofessors Helmut Martin und seiner Studenten ist, die Reden Fangs einer breiten bundesdeutschen Öffentlichkeit zugänglich zu machen, so ungenügend kann der Band einen Gesamtüberblick über das politische Denken dieses intellektuellen Führers der chinesischen Bürgerbewegung geben. Wünschenswert wäre gewesen, dem Buch einen größeren biographischen Teil über die Persönlichkeit Fang Lizhi beizufügen.

Und es hätte sicher bessere Kenner Fangs im deutschen Sprachraum gegeben, die eine einführende Laudatio schreiben könnten als der Ex-Botschafter in Peking, Erwin Wickert. Schließlich hat Wickert noch im Mai Menschenrechtsverletzungen etwa in Tibet als Randerscheinungen einer im wesentlichen gelungenen Politik dargestellt. Das ist zweifellos nicht im Sinne Fangs.

Jürgen Kremb

Fang Lizhi: „China im Umbruch“, Herausgegeben von Helmut Martin, 192 S., Berlin 1989, Siedler Verlag, 29,80 DM