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■ Frauengruppen in der DDR diskutieren ihr Verhältnis zur neuen Oppositionsbewegung

Autonomie oder Zusammenarbeit? Diese Gretchenfrage stellt sich für die Frauengruppen und feministischen Initiativen der DDR. Denn ob „Vereinigte Linke“ oder „Demokratischer Aufbruch“, die neuen Oppositionsgruppen haben ein Interesse an ihnen. Sie würden sogar „einer der Frauen“ einen Platz im Vorstand einräumen, hieß es beim Demokratischen Aufbruch. Nur: die Frauen wollen nicht so recht. Sie wollen erst einmal unter sich bleiben und über Inhalte diskutieren.

In Erfurt luden die „Frauen für Veränderung“ Ende Oktober zu einem Treffen, auf dem diese und andere Fragen diskutiert wurden. Etwa 90 Teilnehmerinnen kamen - für DDR-Verhältnisse eine ganze Menge - und sprachen für sich, nicht für irgendein Projekt, den Kalender voller Termine; in diesen bewegten Zeiten sitzt keine ruhig zu Hause. Der kirchliche Hintergrund ist nach wie vor zu spüren, schließlich war die Kirche jahrelang das Dach. Aber jetzt soll es hinausgehen, ein altes Haus für ein Frauenzentrum mit Teestube und Frauenkultur ist schon ausgeguckt. Die Initiatorinnen hoffen auf die Unterstützung von Erfurts Oberbürgermeisterin.

Zunächst wirkt das Treffen wie ein Seminar. Auf großen Wandzeitungen werden Themen gesammelt, zu denen die Teilnehmerinnen diskutieren und arbeiten wollen. Etwa die Entmilitarisierung. „Den Einsatz von Menschen, Material und Umwelt für militärische Zwecke können wir uns nicht leisten“, heißt es, und weiter: „Ebenso sind jegliches militante Verhalten im Alltag und der in allen Lebensbereichen vorhandene Sexismus abzulehnen“. Oder das Bildungs- und Erziehungssystem, wie Ökologie und Ökonomie zusammengebracht werden können. Besonders wichtig sind den Frauen Veränderungen um Gesundheits- und Sozialwesen. Die Versorgung in der Erfurter Frauenklinik bedarf einer kritischen Überprüfung. In allen künstlerischen und kulturellen Organisationen wird eine Quotenregelung verlangt.

Später, in ziemlich geschrumpfter Runde, geht's dann ums Eingemachte: Wie gehen wir weiter vor? Schließen wir uns einer Gruppe an? Wenn ja, welcher? An dem Vorschlag, jetzt möglichst schnell einen eingetragenen Verein zu gründen, entzünden sich die Emotionen: „Erst Strukturen schaffen und danach erst die Inhalte diskutieren“ - so ginge es nicht, ereifern sich die einen. Andere wollen sich zuerst mit den übrigen Frauengruppen in der DDR abstimmen, um ein gemeinsames Vorgehen zu ermöglichen. Die Vorwürfe gehen hin und her. Die einen sträuben sich gegen unnötigen Zeitdruck und undemokratisches Vorgehen, die anderen kritisieren das absichtliche Blockieren und Verzögern. Hintergrund des Streits sind die unterschiedlichen Einschätzungen darüber, wie es in der DDR weitergehen wird. Mehr Demokratisierung oder ein Roll-back in alte Zeiten? Denn Ende Oktober ist die Angst noch deutlich zu spüren, die den Frauen im Nacken sitzt. Werden die Panzer womöglich doch noch rollen? Einerseits ist da ein ziemliches Mißtrauen den Macherinnen gegenüber, andererseits aber auch die Unfähigkeit zu sagen: 'Gut, ihr gründet eure Vereinigung und schließt euch dem Demokratischen Aufbruch an. Die anderen, die diesen Schritt nicht nachvollziehen können, diskutieren eben weiter. Zusammenarbeiten wollen wir aber auf jeden Fall.‘

Henriette Wrege

P.S.: Als Ergebnis dieses Oktobertreffens kamen am 8.November rund 300 Frauen im Erfurter Rathaus zusammen. Diskutiert wurde alles, was den Frauen auf den Nägeln brannte: Arbeit, Mutterrolle, Gewalt, Gesundheit, Machtverhältnisse in der Stadt. Zwei Männer - offensichtlich vom Stasi - wurde der Zutritt verwehrt.